Toedliche Wut
Formulare sind typische Verwaltungsvordrucke in dreifacher Ausfertigung, die Unterschriftsseiten mit einem roten Sticker versehen. Da Eile geboten ist, überfliege ich die Papiere nur und setze meinen Namen drunter.
Als ich fertig bin, sagt Bates: »Ich wollte Sie schon immer kennenlernen, seit Tomasetti mir von Ihren gemeinsamen Ermittlungen bei den Schlächter-Morden erzählt hat. Was für ein Wahnsinnsfall für so eine kleine Stadt.«
»Da haben Sie recht.« Bei der Erinnerung daran graust mich noch immer, nicht zuletzt wegen einiger heikler Verwicklungen. »Agent Tomasetti war uns eine enorme Hilfe.«
»Er hat erzählt, Sie seien selbst einmal eine Amische gewesen«, sagt McNinch.
Das ist es, was immer alle interessiert. Nicht mein beruflicher Werdegang bei der Polizei oder mein Abschluss in Strafrecht, und auch nicht meine Aufklärungsrate als Detective in Columbus. Sie wollen wissen, wie das war, als Amische aufzuwachsen, ob ich selbstgeschneiderte Kleider anhatte, in einem Buggy – der Pferdekutsche der Amischen – gefahren bin und ohne Strom und Autos gelebt habe. »Ich bin als Amische geboren«, sage ich nur.
Mir entgeht nicht, dass die Frau sich leicht zur Seite neigt, als wolle sie nachsehen, ob ich praktisches Schuhwerk trage.
»Sie sprechen anscheinend auch fließend Pennsylvaniadeutsch«, sagt McNinch.
Ich nicke. »Das ist besonders hilfreich, um kulturelle Barrieren zu überwinden.«
»Bis jetzt ist unsere Erfolgsquote gleich null, was nützliche Informationen angeht«, sagt Bates.
»Die amischen Familien sind nicht eben kooperativ gegenüber den örtlichen Polizeibehörden«, fügt Tomasetti erklärend hinzu.
»Das ist leider nicht ungewöhnlich«, erkläre ich. »Die Amischen stehen dem Staat – und besonders den Polizeibehörden – generell misstrauisch gegenüber. Wir haben das letzten Dezember zu spüren bekommen, als wir mit einem plötzlichen Anstieg hassmotivierter Verbrechen konfrontiert waren.« Während ich spreche, vermeide ich Blickkontakt mit Tomasetti, denn es soll niemand hier mitbekommen, dass wir mehr als Kollegen sind. Mehr als Freunde. »Zudem sind die Amischen sehr zurückhaltend, was den Kontakt mit uns betrifft, weil sie von ihrem Grundsatz her für sich bleiben wollen. Daneben gibt es natürlich auch kulturelle und religiöse Unterschiede.« Ich denke an die Kluft zwischen mir und meinen Geschwistern. Dass man selbst dann, wenn man amisch geboren wurde, als Außenstehende betrachtet werden kann, verschweige ich. »Im Allgemeinen sind sie uns gegenüber offener, wenn sie merken, dass wir in ihrem Interesse handeln. Das trifft besonders zu, wenn ein Familienmitglied in Gefahr ist.«
»Sehr gut.« Bates schiebt mir eine Mappe über den Tisch zu. »Wir sind noch dabei, die Fakten zusammenzutragen, Kate, die Akte ist also noch ziemlich dünn.«
Ich schlage sie auf und blicke auf drei Vermisstenanzeigen. Bates hat recht, die Informationen sind mehr als dürftig. Es handelt sich um drei junge Frauen zwischen sechzehn und achtzehn Jahren.
»Wir gehen davon aus, dass es mit ihrer amischen Herkunft zu tun haben muß«, sagt Ninch.
»Denken Sie, dass es sich um eine Serienstraftat handelt?«, frage ich. »Und das ist jetzt eine Eskalation?«
Tomasetti nickt. »Möglich.«
»Aber das Motiv ist uns noch ein Rätsel«, sagt Bates.
»Keine Lösegeldforderung«, erklärt Tomasetti.
»Noch keine«, präzisiert Bates.
»Haben Sie spontan eine Idee?«, fragt McNinch.
Ich blicke von der Akte auf und sehe ihn an. »Am naheliegendsten ist natürlich ein sexueller Hintergrund, aber daran haben Sie sicher auch schon selbst gedacht.« Mir gehen noch einmal die Ermittlungen in meinem vorletzten Mordfall – die Familie Plank – durch den Kopf und welche Abgründe sich seinerzeit auf einmal auftaten. »Vielleicht hat es was mit Fetischismus zu tun. Jemand mit einem Amisch-Fetisch agiert seine Phantasien aus, wobei es im Wesentlichen darum geht, dass das Opfer amisch ist.«
»Ich wusste nicht, dass so etwas existiert«, bemerkt McNinch.
»Momentan läuft eine Suche in NCIC und VICAP«, sagt Tomasetti. »Wir warten noch auf das Ergebnis.« NCIC ist die Polizeidatenbank der Bundesbehörden, VICAP die des FBI, wo sämtliche aufgeklärte und unaufgeklärte Serienmorde gesammelt und analysiert werden.
»Es könnte auch ein Hassmotiv sein«, erkläre ich. »Damit hatten wir es in Painters Mill zu tun, und ich weiß, dass es in anderen Städten auch solche Probleme gegeben
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