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Toedliche Wut

Toedliche Wut

Titel: Toedliche Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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dem rauen Straßenbelag Fetzen abgeschürfter Haut. Und was ich dann sehe, lässt mich erschauern. »Ein Haar«, höre ich mich sagen.
    »Menschenhaar?«
    »Kann ich nicht sagen. Es ist lang, die gleiche Farbe und Länge wie die Haare von Sadie Miller.« Ich richte mich auf. »Ich rufe Tomasetti an, er soll die Spurensicherung schicken.«
    Rasmussen blickt sich um. »Kate, ich sage es äußerst ungern, weil sich das hier auch als vollkommen harmlos erweisen kann. Aber es sieht mir fast nach einem Verkehrsunfall mit Fahrerflucht aus, bei dem ein Fußgänger angefahren wurde.«
    Natürlich gibt es Dutzende Möglichkeiten, vielleicht ist unsere Reaktion übertrieben und wir sehen Dinge, die nicht da sind. Gut möglich, dass ein Reh oder Hund oder ein Waschbär angefahren wurde. Doch in Anbetracht all dessen, was wir wissen, ist seine Theorie plausibel. Viel zu plausibel.
    »Er hat sie angefahren«, flüstere ich. »Und dann mitgenommen.«
    Er sieht mir fest in die Augen. »Ich weiß, dass Sie das Mädchen persönlich kennen. Wenn Sie wollen, dass ich –«
    »Ich komme schon klar.« Er denkt bestimmt an den Slabaugh-Fall, bei dem ich einen Jungen erschossen habe. Ich kann meine Geheimnisse zwar gut verbergen, doch er weiß, dass ich mich noch immer mit den Nachwirkungen herumquäle.
    Er nickt, doch sein Blick drückt Zweifel aus. »Ich sperre die Straße ab und mache Fotos.«
    Als ich mein Mobiltelefon aus dem Gürtelclip ziehe, bemerke ich überrascht, dass meine Hand zittert. Ungeduldig drücke ich die Kurzwahltaste für Tomasetti. Er meldet sich mit dem üblichen Brummeln, und ich erzähle ihm von Mandy Reigelsbergers Beobachtung und der Stelle nahe der Brücke, die Rasmussen und ich entdeckt haben.
    »Bist du sicher, dass es Menschenhaar ist?«, fragt er.
    »Ich bin noch nie einem Waschbär mit langen Haaren begegnet.« Keiner von uns lacht. »Kannst du ein Spurensicherungsteam herschicken?«
    »In spätestens einer Stunde ist es da.«
    »Ich schulde dir was.«
    »Ich erinnere dich dran, wenn wir uns das nächste Mal sehen.«
    Fast hätte ich ihn gefragt, wann das sein wird, doch ich will nicht bedürftig erscheinen. Vielleicht, weil ich es momentan bin. »Gibt’s bei euch was Neues?«
    »Wir haben einen Zeugen, der behauptet, Gilfillan von der Kirche der zwölf Wege hatte Kontakt mit Annie King und wollte sie rekrutieren. Goddard hat ihn zur Befragung aufs Revier gebracht.«
    Auf so eine Verbindung zu stoßen ist eigentlich ein echter Glücksfall. »Du klingst nicht allzu enthusiastisch.«
    »Weil der beschissene Zeuge ein schräger Vogel ist, Crystal-Meth-Konsument und außerdem sauer auf die Kirche, weil sie ihn rausgekickt haben.«
    »Dann hat er mit denen also ein Hühnchen zu rupfen.«
    »Möglich.« Doch er klingt unsicher. »Oder Mr Meth erzählt uns die Wahrheit, Annie King wollte nicht rekrutiert werden, und das Ganze ist außer Kontrolle geraten. Ich versuche gerade, einen Durchsuchungsbeschluss zu bekommen.«
    Ich überlege, ob Gilfillan auch etwas mit Sadies Verschwinden zu tun haben könnte. »Hat er ein Alibi für letzte Nacht?«
    »Er behauptet, er war zu Hause. Allein.«
    Ich würde unheimlich gern selbst mit Gilfillan reden. Kann es sein, dass der selbsternannte Pastor Jagd auf amische Jugendliche macht, die einfach nicht wissen, welche religiöse Richtung sie einschlagen sollen?
    »Halt mich auf dem Laufenden«, sage ich.
    »Du weißt, dass ich das tue.«

16.
    Kapitel
    Mit das Schwierigste bei länger andauernden Ermittlungen ist es zu wissen, wann man nach Hause gehen sollte. Und dass das Leben eines Menschen in Gefahr ist, macht diese Entscheidung nicht leichter. Aber es ist selbstzerstörerisch, die Erschöpfung zu ignorieren, jeder Mensch braucht Schlaf. Doch ich habe immer das Gefühl, das Opfer im Stich zu lassen, wenn ich Feierabend mache. In Wirklichkeit weiß ich nämlich nicht, wie das geht, nicht Polizistin zu sein. Wie ich nach Hause gehen, essen oder schlafen oder auf dem Sofa sitzen und fernsehen soll, wenn das Leben eines jungen Mädchens davon abhängt, dass ich es finde.
    Die Antwort gibt das menschliche Durchhaltevermögen. Niemand kann über einen längeren Zeitraum rund um die Uhr arbeiten, und wer es versucht, kommt an den Punkt, wo er ineffektiv wird, oder schlimmer, den Ermittlungen sogar schadet. Es ist der Punkt, an dem Erschöpfung und Emotionen den Entscheidungsprozess lähmen, Reaktionszeiten vermindern und den guten alten gesunden Menschenverstand außer Kraft

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