Toedliche Wut
in mir sinkt ins Bodenlose, wie ein kleiner Stein in die Tiefen des Ozeans. »Gottverdammt!«
In Momenten wie diesen meldet sich gern die Stimme in meinem Kopf, die mir sagt, ich bin für meinen Job nicht geeignet. Solche Nachrichten erreichen mich ja nicht zum ersten Mal und dürften mich nicht mehr so schwer treffen.
Tomasetti sagt noch etwas, aber ich höre nicht mehr hin, sondern ziehe auf den Seitenstreifen rüber und trete voll auf die Bremse, so dass der Wagen schlittert. Sekundenlang sitze ich da und zwinge mich zur Ruhe, möchte aber viel lieber auf jemanden einprügeln und laut schreien wegen all der Ungerechtigkeiten auf der Welt. Denn ich habe Angst, dass Sadie das gleiche Schicksal ereilt hat.
»Wie kann man einem fünfzehnjährigen Mädchen nur solche Gewalt antun?«, flüstere ich.
Er weiß, dass ich keine Antwort erwarte. Und auch, dass ich den, der das getan hat, finden und aufhalten muss. »Früher oder später macht er einen Fehler«, sagt er. »Das ist immer so, und dann kriegen wir ihn.«
Wir schweigen einen Moment, schließlich sagt er: »Gibt’s bei dir was Neues?«
Ich atme tief durch, und langsam nimmt die Welt um mich herum wieder Konturen an. Mein Fenster ist runtergedreht, ich höre eine Taube auf dem Zaun gurren, und auf der Wiese dahinter grast eine kleine Herde Hereford-Rinder. Die Sonne scheint direkt auf die Windschutzscheibe, wärmt mein Gesicht, und ich rufe mir in Erinnerung, dass das Leben weitergeht, was immer auch passiert. Es geht immer weiter.
»Es gibt vielleicht eine Zeugin.« Ich erzähle ihm von dem Mädchen auf dem Pferd. »Ich bin gerade auf dem Weg zu ihr.«
»Ein bisschen Glück könnten wir gut gebrauchen.« Er hält inne. »Alles okay mit dir?«
»Geht schon, danke.«
»Sowie ich hier Land sehe, komme ich zu dir.«
»Klingt gut.« Ich will ihm gerade sagen, dass ich ihn vermisse, doch er hat schon aufgelegt.
15.
Kapitel
Die Familie Reiglesberger betreibt eine kleine Pferderanch an der County Road 14, nahe einer Haarnadelkurve. Sie züchten Appaloosas und nehmen Pensionspferde auf, deren Besitzer keine eigenen Stallungen haben. Über die Jahre bin ich Elaina Reiglesberger einige Male begegnet, aber mehr als gegrüßt haben wir uns nie. Von ihr weiß ich nur, dass sie Reitunterricht für Kinder und therapeutisches Reiten für behinderte Kinder anbietet.
Ich fahre an einem großen Mobilheim vorbei und parke beim Pferdestall hinter Rasmussens Streifenwagen. Obwohl das Gebäude alt ist, einen neuen Farbanstrich braucht und die Fallrohre rostig und verbeult sind, macht die Farm insgesamt einen gepflegten Eindruck.
Als ich aus dem Tahoe steige, kommen zwei Hunde einer undefinierbaren Rasse mit hängender Zunge angelaufen. Ich beuge mich vor und streichele sie, werde im Gegenzug mit feuchten Küssen überhäuft. Die Schiebetür des Stalls steht offen, und ich kann die Umrisse mehrerer Menschen und von mindestens einem Pferd im Gang erkennen. Ich wische meine vollgesabberten Hände an der Hose ab und gehe zur Tür, wo mich der Geruch von Pferden und Dung und Heu empfängt.
Fünf Köpfe drehen sich in meine Richtung. Sheriff Rasmussen ist umringt von mehreren jungen Mädchen in Reithosen und Helmen und einer kompetent wirkenden Frau in Jeans und gelbem Poloshirt. Das auf der Stallgasse angebundene Pferd mit dem glänzenden rotbraunen Fell sieht aus, als würde es den Tumult um sich herum genießen, wobei ich mir gut vorstellen kann, dass auch die Tüte Karotten auf dem Gartenstuhl zu seinem Wohlbefinden beiträgt.
Als sich meine Augen an das düstere Stallinnere gewöhnt haben, erkenne ich Elaina Reiglesberger, eine hübsche Frau in den Dreißigern, mit schulterlangen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haaren. Sie hat eine Starbucks-Kappe auf, an ihrem Shirt hängt Stroh, und an der Jeans klebt in Höhe der rechten Hüfte etwas Dunkles, Schleimiges. Doch das tut dem rundherum gesunden, ausgeglichenen Eindruck, den sie macht, keinen Abbruch. Sie lächelt, als ich auf sie zugehe.
»Hallo, Chief Burkholder.« Sie murmelt etwas Unverständliches über ihre Hände und wischt sie an den Jeans ab, bevor sie mich mit Handschlag begrüßt. »Furchtbare Sache, das mit dem Mädchen der Millers.« Sie sieht den Sheriff an. »Weiß man schon, was passiert ist?«
Ihr Akzent verrät, dass sie aus Kentucky stammt. Mit ihrer geradlinigen und ruhigen Art und dem Selbstvertrauen, das sie ausstrahlt, ist sie wahrscheinlich ein gutes Vorbild für diese jungen Reiterinnen.
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