Toedliche Wut
gemischt mit noch ein bisschen Irrsinn und/oder soziopathischem Verhalten, und du hast eine beschissene Zeitbombe.«
»Wie findet er die Teenager?«
»Laut eigener Aussage haben die meisten durch Mundpropaganda von ihm gehört und kontaktieren ihn.«
»Und wie erfahren Teenager aus anderen Städten von seiner Existenz?«
»Vielleich hat er eine Art Netzwerk aufgebaut«, erwidert Tomasetti.
Ein solches Szenario scheint mir nicht gerade zwingend und lässt eine Menge Fragen offen.
»Glaubst du, das reicht für einen Durchsuchungsbeschluss?«, frage ich.
»Ich werde es auf jeden Fall versuchen.«
»Wir müssen mit Teenagern sprechen, denen er mal geholfen hat. Vielleicht gab es ja irgendwas, das sie stutzig gemacht hat«, sage ich.
»Ich sehe zu, dass ich ein paar Namen kriege«, erwidert er.
Am liebsten würde ich umkehren und ihm dabei helfen, aber ich bin schon fast bei den Masts. Es wäre Unsinn, jetzt nicht mit ihnen zu reden, wo ich schon mal hier bin. »Ich beeile mich und komme dann sofort zu dir.«
* * *
Als ich diesmal in den schmalen Weg zur Mast-Farm einbiege, nehme ich kaum den Schweinegeruch wahr, noch sehe ich den hohen Mais, der bis an den Wegrand wächst. In Gedanken bin ich noch immer bei dem Gespräch mit Tomasetti. Je länger ich darüber nachdenke, dass Gideon Stoltzfus etwas mit den verschwundenen Teenagern zu tun haben könnte, desto überzeugter bin ich, dass er auf die Liste der Verdächtigen gehört.
Menschen, die ein Kind entführen wollen, unternehmen meist große Anstrengungen, eine Beziehung mit ihrem anvisierten Opfer aufzubauen, indem sie sich als Berater oder Helfer anbieten. Stoltzfus hat direkten Kontakt mit amischen Teenagern, die überlegen, dem amischen Leben abzuschwören. Aus Erfahrung weiß ich, dass ein Großteil dieser jungen Menschen nicht nur unzufrieden, sondern zutiefst unglücklich ist – womit sie in unser Vermisstenprofil passen. Sie sind in gewisser Weise hilfsbedürftig und deshalb aufgeschlossen für jemanden, der behauptet, alle ihre Probleme lösen zu können.
Ich weiß ebenfalls, dass der Buschfunk ein machtvolles Kommunikationsmittel in amischen Gemeinden darstellt, und kann mir gut vorstellen, dass sich Gideon Stoltzfus’ Ruf so verbreitet hat. Es war bekannt, dass er abtrünnige Teenager aufnehmen und ihnen helfen würde, ein neues Leben zu beginnen. Er würde ihnen Geld leihen, ihnen zu essen und ein Dach über dem Kopf geben. Er würde sie beraten und ihnen helfen, Arbeit zu finden.
Und wenn das alles nur der Deckmantel für einen teuflischen Plan war? Wenn Gideon Stoltzfus die perfekte Strategie entwickelt hatte, seine Opfer zu finden?
Bei der Vorstellung bekomme ich eine Gänsehaut. Das Szenario passt – und weder Tomasetti noch ich haben es bis jetzt gesehen. Nur das Motiv ist mir noch unklar. Unseres Wissens steckt kein sexueller Beweggrund hinter den Entführungen. Und die Tatsache, dass sein Ruf einwandfrei ist und er tatsächlich einer Handvoll Teenagern zu einem Neubeginn verholfen hat, ohne dass uns auch nur eine einzige Beschwerde zu Ohren gekommen ist, macht die Suche danach nicht leichter. Oder gab es noch andere Opfer, von denen wir nur nichts wissen? Kann es sein, dass er einigen hilft und andere aus dem Weg räumt? Nach welchen Kriterien entscheidet er, wem er hilft und wen er eliminiert?
Die Amischen erwarten von einem Menschen, der sich unmoralisch verhalten hat, dass er oder sie vor der ganzen Kirchengemeinde um Vergebung bittet. Wer sich dieser Prozedur unterwirft, ist in den Augen der Gemeinde rehabilitiert, unabhängig davon, wie schwerwiegend das Vergehen war.
Und wenn es hier um Bekehrung geht? Wenn Gideon Stoltzfus es sich zur Aufgabe gemacht hat, die »schlechten Amischen« einer Gemeinde zu bekehren? Auf eine perverse, fanatische Weise macht das sogar Sinn – rette die, die du bekehren kannst, eliminiere die, die sich nicht bekehren lassen.
Ich parke hinter einem schwarzen vierrädrigen Buggy. Beim Aussteigen umhüllt mich Schweinegestank wie eine unsichtbare Decke. Inzwischen ist es heiß und schwül, kein Lüftchen weht mehr. Im Westen ziehen schwarze Wolken über den Baumwipfeln auf, was bedeutet, dass ich heute Nachmittag im Regen nach Buck Creek fahren werde.
»Klasse«, murmele ich und blicke mich um. Es ist so ruhig hier, dass ich die grunzenden Schweine hinter der Scheune rumlaufen höre. Im Garten neben dem Haus sitzt ein einsamer Blauhäher im Ahornbaum und beschimpft mich auf dem Weg zum Haus. Ich
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