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Toedliche Wut

Toedliche Wut

Titel: Toedliche Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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Meine eigene Familie war, obwohl sie nicht der Alten Ordnung angehörte, auch konservativ. Meine Mamm und mein Datt stellten selbst für amische Verhältnisse ziemlich hohe Anforderungen an meine Schwester, meinen Bruder und an mich. Jacob und Sarah sind mit deren Erziehungsmethode der eisernen Hand gut zurechtgekommen, beide haben sich immer an die Regeln der Ordnung gehalten.
    Doch ich hatte Probleme damit. Schon mit zwölf Jahren rebellierte ich gegen die Einschränkungen, denen mein Leben unterworfen war, obwohl ich da noch nicht die leiseste Vorstellung von Freiheit hatte. Doch ich fand, dass alles in meinem Leben bis ins Kleinste vorbestimmt war – von meinen Eltern, vom Bischof, von der Gemeinschaft und der amischen Kultur im Allgemeinen. Ich weiß noch, dass ich meinen Bruder beneidete, weil er – wie alle Männer bei den Amischen – mehr Freiheiten hatte als ich und meine gleichaltrigen Geschlechtsgenossinnen. Selbst damals hat mich diese Ungerechtigkeit schon irritiert.
    Meine Unzufriedenheit mündete im Alter von vierzehn Jahren in einer Katastrophe, als ein amischer Mann namens Daniel Lapp in unser Farmhaus eindrang und mich vergewaltigte. Ich war allein an jenem Tag, und ich lernte, was Gewalt ist. Aber auch, wie weit ich gehe, um mich zu schützen. Ich musste erleben, dass ich zu extremer Gewalt fähig bin. Ich lernte, was es heißt, zu hassen – nicht nur einen anderen Menschen, sondern auch mich selbst. Besonders mich selbst.
    Als meine Eltern sahen, dass ich meinen Vergewaltiger erschossen hatte, entdeckte ich zudem, dass selbst anständige, gottesfürchtige Leute das Gesetz brechen. Dass sie, um ihre Kinder zu schützen, zu Lügnern werden. Und mir, dem wütenden Teenager, wurde klar, dass sie – unter all dem selbstgerechten Gehabe verborgen – Sünder waren, so wie alle anderen auch.
    In den darauffolgenden Jahren widersetzte ich mich jeder Regel, die mir nicht passte – also ziemlich allen. Ich bot meinen Eltern die Stirn, zog über die rigiden amischen Grundsätze her. Ich rebellierte gegen Gott und mich selbst, mischte meine Geschwister auf, brachte meine Eltern in Verlegenheit, enttäuschte den amischen Bischof. Als Mamm und Datt Bedenken bekamen, dass ich einen schlechten Einfluss auf meine Geschwister ausübte, war es Zeit für mich zu gehen. Die Vorstellung jagte mir große Angst ein, doch ich wäre eher gestorben, als das zuzugeben. Und so verließ ich mit achtzehn Jahren Painters Mill und ging nach Columbus, Ohio.
    Dabei war meine große Angst immer gewesen, dass ich es nicht schaffen und demütig nach Painters Mill zurückkehren würde. Doch das ist nicht passiert. Meine Mamm kam zu meiner Abschlussfeier an der Polizeiakademie nach Columbus gereist. Meinen Datt habe ich leider nie wiedergesehen. Er starb sechs Monate später an einem Schlaganfall. Als meine Mutter an Brustkrebs erkrankte, wollte ich bei ihr sein und zog zurück in meinen Geburtsort. Sie verzichtete auf eine konventionelle Krebstherapie und entschied sich stattdessen für traditionelle amische Heilmittel. Diese halfen natürlich kaum, so musste sie bis zu ihrem Tod furchtbar leiden. Ich bin immer noch traurig darüber, wie die Dinge damals gelaufen sind.
    Ich war sicher keine typische amische Jugendliche, aber das ist nun einmal der einzige Blickwinkel, den ich habe, also vergleiche ich mein Leben mit dem der verschwundenen Teenager. Gibt es da etwas, das uns verbindet?
    Die Einzige von ihnen, die ich persönlich kenne, ist Sadie Miller. Die hübsche, rebellische Sadie. Als ich sie das letzte Mal sah, hatte sie bemalte Jeans und ein freizügiges Tanktop an, trug zu viel Make-up und rauchte. Fluchte, weil sie die Macht der Schockwirkung entdeckt hatte. Sadie und ihre Begeisterung für Stoff und Kunst, mit all ihren großen Plänen für die Zukunft. Sadie, die die Regeln bricht.
    Die Regelbrecherin .
    Etwas macht Klick in meinem Kopf.
    »Mist«, sage ich laut. »Das ist es.«
    Im letzten Moment sehe ich das Schild für einen Rastplatz, schere nach rechts aus und parke vor dem Picknickbereich. Einen Moment lang sitze ich da, umklammere das Lenkrad und denke nur: Warum sehe ich das erst jetzt ?
    Ich steige aus dem Wagen, steuere den nächsten Picknicktisch an, ziehe gleichzeitig das Handy aus dem Gürtelclip und drücke die Kurzwahltaste für Tomasetti. Es klingelt einmal, zweimal, ich laufe hin und her, frage mich, ob Tomasetti mir aus dem Weg geht, und bin total erleichtert, als er abnimmt.
    »Ich hab die

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