Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
abgelegenen Ecke des Schnellrestaurants vor einer dampfenden Porzellantasse und zwei Waffelröllchen, und beobachtete seine Umgebung. Lärmende Kinder und müde wirkende Eltern bestimmten das Geschehen, die Mütter hektisch über den Tischen hantierend und die Väter, wenn es überhaupt welche gab, meist teilnahmslos an ihrer Cola saugend oder Pommes frites in sich hineinstopfend. Keiner der Anwesenden war auch nur annähernd untergewichtig, ein gutes Anzeichen dafür, dass es in diesem reichen Land ja offenbar doch keine großflächige Armut zu geben schien. Oder einfach nur ein Zeichen dafür, dass ein Salat dreimal so viel kostete wie ein fettiger Cheeseburger?
Arthur wischte sich die Hände an der Hose ab, obwohl sie überhaupt nicht schmutzig waren. Vorsichtig entnahm er seinem Mantel das Kuvert und öffnete es. In ihm befand sich ein Fotoabzug, etwas verblasst und leicht gelbstichig, aber die Personen waren allesamt gut zu erkennen: Karl von Eisner, Lars Manduschek, Stefan Löbler und seine Frau Nathalie, aufgereiht wie die Orgelpfeifen, und in ihrer Mitte er selbst, Arthur Drechsler; die legendären Big Five am Flughafen von Windhoek. Sophie von Eisner hatte das Foto mit Drechslers alter Leica gemacht, und er hatte es nie reproduzieren lassen. Das Negativ war längst verschwunden, natürlich gab es in dem alten Schuhkarton noch weitere Aufnahmen, aber so deutlich wie hier erkannte man die fünf Freunde nirgendwo. Wie ausgelassen ich dort lache, stellte Drechsler fest, mit einer Spur von Überheblichkeit, aber so waren wir eben damals. Die Gesichtsausdrücke der anderen vier waren nicht viel anders gewesen, er würde sie noch lange im Gedächtnis vor sich sehen. Nur hier auf dem Bild war mit Ausnahme seines eigenen und dessen von Manduschek kein Lachen mehr zu erkennen. Mit einem Skalpell hatte Arthur ihre Gesichter nach und nach zerkratzt, eines nach dem anderen, langsam schabend, bis die Fotobeschichtung sich löste und sich die makellosen Köpfe erst zu verzerrten Fratzen und dann zu weißen, leeren Kreisen verwandelten. »Ausgelöscht«, hauchte Drechsler tonlos und ließ das Foto wieder im Umschlag verschwinden. Heute Abend noch würde auch das Gesicht des Anwalts von der Aufnahme verschwinden, dessen war er sich gewiss. Denn am Ende lacht nur einer.
Etwa zur gleichen Zeit ließ Julia Durant sich müde und enttäuscht in den noch warmen Sitz ihres Wagens sinken und knallte die Fahrertür übertrieben schwunghaft zu. Sophie von Eisner war kurz angebunden gewesen, sie habe keine Zeit, eine Freundin erwarte sie, zu Hause fiele ihr ja doch nur die Decke auf den Kopf. Über die aktuellen Presseberichte hatte sie nicht sprechen wollen, und auch ihr Kommentar zu den neuesten Erkenntnissen bezüglich der Todesursachen war ernüchternd knapp ausgefallen.
»Wer weiß, was sich morgen ergibt oder nächste Woche«, waren ihre Worte gewesen, und Julia empfand diese Reaktion als schnippisch, ja, geradezu snobistisch.
»Es ist ja nicht so, dass wir uns jeden Tag eine neue Theorie ausdenken, weil wir so kreative Menschen sind«, hatte sie patzig reagiert. Auf dieser Grundlage war es schließlich nicht mehr möglich gewesen, ein besonnenes Gespräch zu entwickeln, zumal Frau von Eisner sich bereits in ihren Pelzmantel kleidete und der Kommissarin unmissverständlich bedeutete, dass sie sich in ihrem bevorstehenden Aufbruch nicht aufhalten ließe.
Beinahe gleichgültig fuhr Julia an, rollte aus dem Wohnviertel hinaus und sehnte sich plötzlich nach nichts mehr als einem heißen Bad, einem netten Telefonat und einem Glas Wein, nein, verbesserte sie sich schnell, als sie sich an den Kater vom Vormittag erinnerte, den Wein lassen wir heute mal lieber weg.
An der nächsten großen Straßenkreuzung traf Julia eine folgenschwere Entscheidung, nur dass sie das in jenem Augenblick noch nicht wusste. »Einmal quer durch die City oder schnell auf die 661?«, überlegte sie laut, während sie auf das grüne Lichtzeichen der Ampel wartete. Natürlich wusste sie, dass der Weg über die Stadtautobahn etwa doppelt so lang war, aber dafür auch einige Minuten schneller und ohne den Samstagabendverkehr in der Innenstadt. Mochte es das Umtauschgeschäft oder bereits neue Konsumsucht sein; wer in Frankfurt lebte, der wusste, dass man sich an solchen Nachmittagen besser nicht mit dem Pkw auf die Hauptverkehrsadern der Metropole begab. Nutzt eigentlich überhaupt ein Mensch Bus und Bahn?, dachte die Kommissarin grimmig, wobei sie selbst
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