Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
auch nicht gerade ein schillerndes Vorbild in jener Hinsicht war. Sie setzte den Blinker, sah sich um und lenkte den Wagen in Richtung Kaiserlei.
Kollege Brandt, ich durchquere dein Revier, kam ihr in den Sinn, als sie den großen Kreisel umrundete und unmittelbar darauf in Richtung Mainbrücke abbog. Gut möglich, dass es ihm just in diesem Augenblick in den Ohren klingelt, dachte sie weiter und schürzte amüsiert die Lippen. Oder aber es läuft ihm eiskalt den Rücken herunter, weil eine Frankfurterin ihm gerade ihre Gedanken schickt. Dann, melancholisch werdend, kam ihr die Staatsanwältin Elvira Klein in den Sinn, die seit geraumer Zeit mit dem Offenbacher Kollegen liiert war. Im Gegensatz zu dir machen die beiden sich gewiss einen schönen Abend, schloss Julia, aber was willst du, du hast dir’s ja so ausgesucht. Seufzend tippte sie mit dem Finger auf das Autoradio und stimmte alsbald aus voller Kehle in Born in the USA ein.
Der Verkehr auf der Autobahn war dünner als erwartet, was Julia erleichterte, denn bei ihren Überlegungen hatte sie außer Acht gelassen, dass die A 661 derzeit mehr einer Dauerbaustelle denn einer Autobahn glich. Dasselbe galt für die Zufahrt in die Innenstadt, welche sie wenige Minuten später ansteuerte, aber auch hier bildete sich kaum Rückstau.
»Wenigstens ein Mal ist das Schicksal auf meiner Seite«, seufzte sie kehlig, als sie die Friedberger Warte umrundete, jenen Wachturm, der im Mittelalter Frankfurts Nordgrenze markiert hatte. An zahlreichen Häusern befanden sich Gerüste, die Straße war in Teilabschnitten gesperrt, und Julia musste höllisch aufpassen, dass sie die richtigen Fahrspuren wählte.
Warum meldet Hellmer sich eigentlich nicht?, dachte sie unvermittelt und tastete nach ihrem Handy, griff dann aber sofort wieder ans Lenkrad, weil von rechts ein silberner Mercedes an ihr vorbeischoss und sich dann scharf vor ihr einfädelte. »Idiot!«, rief sie erschrocken und schlug mit dem Handballen auf die Hupe. Der Wagen wechselte weiter nach links und bog ab in Richtung Bornheim, Julia zuckte zusammen, denn das Heck geriet auf dem eisigen Asphalt bedrohlich ins Schlingern. »Bornheim«, murmelte Julia nachdenklich, »Hauptfriedhof.« Befand sich dort nicht irgendwo …
Einem Impuls folgend zwängte auch sie ihren kleinen Peugeot in letzter Sekunde nach links. Sie beschleunigte kräftig und rollte die Straße entlang, bis sie nach einer Weile eine Parkbucht ansteuerte. Erneut fischte sie in ihrem Mantel nach dem Handy, zog es aus der Innentasche und stellte verärgert fest, dass es ausgegangen war. Ungeduldig wartete sie, bis das Gerät neu startete, doch sofort kam eine Vibration und das Piepen der Akkuwarnung. »Mist«, murrte sie. Anstatt das Gerät mit niedrigem Akku alle paar Minuten vibrieren zu lassen, hätte der Hersteller lieber die restliche Kapazität für einen letzten Anruf aufsparen können. Das Autoladekabel hatte die Kommissarin nicht dabei, vermutlich lag es wie so oft im Büro oder in Hellmers Wagen. Verdammt. Doch das Display verriet weder einen verpassten Anruf noch eine Nachricht. Enttäuscht ließ Julia das Handy wieder in ihrem Mantel verschwinden und beschloss, auf dem Nachhauseweg ein weiteres Mal im Präsidium haltzumachen. Ihr Spaziergang würde nicht allzu lange dauern.
Fünf Minuten später näherte die Kommissarin sich über den schmalen Pfad der Kleingartenparzelle Arthur Drechslers.
Seltsam, dachte sie, als sie versuchte, sich über den verwucherten Zaun zu recken. Bekommen Kleingärtner nicht Ärger mit dem Verein, wenn sie ihr Grundstück nicht ausreichend pflegen? Hellmer hatte etwas in der Art gesagt, erinnerte sie sich. Raschelnd und mit eisigen Fingern schob sie einige Ranken beiseite und lugte hindurch. Das dämmerige Licht erschwerte ihr die Sicht. Stand dort ein Bauwagen? Oder nein, es war ein alter Wohnwagen, aber völlig verwachsen und kaum mehr als solcher zu erkennen. Kein Rauch, kein Kondensat, kein Licht – alles wirkte wie ausgestorben. Der Rest der Gartenfläche bestand zum Großteil aus Gras, nicht verwildert, sondern verhältnismäßig kurz, es hatte sich also jemand um das Grundstück gekümmert. Ausreichend zumindest, um einer Zwangsmaßnahme zu entgehen, wie es schien. Doch wie konnte das sein? Gerade als sie sich eine andere Stelle zum Spähen suchen wollte, fiel Julias Blick auf eine Reihe von Abdrücken, die am Grundstücksrand entlangliefen.
Verflixt und zugenäht!, dachte sie und schritt hastig zu der
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