Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Gartentür. Verschlossen, aber recht stabil, urteilte die Kommissarin nach einem prüfenden Blick. Die Scharniere wirkten frisch gefettet; ein weiteres Indiz dafür, dass sich hier jemand kürzlich betätigt hatte. Julia überlegte fieberhaft, wann der letzte Neuschnee gefallen war. Heute Nacht, erinnerte sie sich, wenn auch nicht viel. Also mussten die Spuren frisch sein, denn unter einigen von ihnen befand sich nichts als dunkler Boden. Eine innere Stimme mahnte die Kommissarin zur Besonnenheit, doch der unbändige Drang, endlich einen Ermittlungserfolg zu verbuchen, trieb Julia dazu, mit einem behenden Schwung über das Tor zu klettern. Dumpf kam sie auf dem gefrorenen Gras auf, es knirschte leise, dann stahl sie sich entlang der Spur in Richtung Wohnwagen, bis sie ihn umrundet hatte und an den Stufen vor der Zugangstür stand.
Sämtliche Fenster und Öffnungen schienen verbarrikadiert worden zu sein, die Tür war mit einem Metallbeschlag verstärkt, in dessen Mitte sich ein rundes Schloss befand, darüber ein Türknauf. Behutsam näherte sich die Kommissarin, nachdem sie sich noch einmal umgesehen hatte, legte die Hand auf den Knauf und versuchte, ihn zu drehen. Er bewegte sich nicht, also zog Julia daran, erst vorsichtig, dann etwas kräftiger. Nichts. Ihre Augen suchten nach einem Spalt, einer Fuge, einem Loch, doch da war nichts, was ihr Hoffnung auf einen Blick ins Wageninnere machte. Wenn ich bloß Hellmer und seinen Schlüsselheini erreichen könnte, dachte Julia grimmig und beschloss, sich eine Gelegenheit zum Telefonieren zu suchen. Gerade als sie sich von der Tür abwandte, vernahm sie ein leises Klicken und fuhr erschrocken herum. Helles Licht, metallene Stuhlbeine, Teppich – es waren Momentaufnahmen, die wie das Facettenbild eines Insektenauges in ihren Kopf drangen, doch Julias Gehirn vermochte diese nicht mehr zu einem Gesamtbild zu formen, denn schon im nächsten Augenblick wurde ihr schwarz vor den Augen.
Samstag, 16.50 Uhr
E in dumpfes Rauschen weckte sie, es glich dem Klang einer Muschel, die man sich ans Ohr hält, um dort das Meer zu hören. Doch es war lauter, dumpfer, beinahe dröhnend. Benommen öffnete Julia Durant die Augen, und sie hatte das Gefühl, als steche ihr jeder Lichtstrahl einzeln ins Gehirn. Ihr Nacken fühlte sich an, als läge ein zentnerschwerer Holzbalken darauf und drücke ihren Kopf nach unten. Nur langsam gelang es ihr, den schier unerträglichen Schmerz von ihrem restlichen Körpergefühl zu trennen, doch schließlich vermochte sie es, ihren Oberkörper und ihre Extremitäten zu spüren. Julia registrierte, dass sie aufrecht saß, das Kinn auf der Brust; sie blinzelte noch einmal, blickte hinab auf die Füße und versuchte aufzustehen. Doch die Beine versagten ihr den Dienst, vielleicht waren sie eingeschlafen? Sie entschied sich, die Oberschenkel zu massieren, doch auch die Arme ließen sich nicht bewegen. Verdammt, ich bin gefesselt!, realisierte sie erst jetzt und richtete sich ruckartig auf. Eine Bewegung, die ihr Kopf mit einem durchdringenden Schmerz beantwortete. Julia ächzte, und Panik stieg in ihr auf.
»Ah, Sie sind wach«, erklang hinter ihr eine tiefe Stimme, die ihr seltsam vertraut schien, und erneut zuckte Julia nach oben. Sie wollte den Kopf wenden, doch es gelang ihr nicht. Das Gehirn der Kommissarin schien wie gelähmt, trotzdem zwang sie sich, so viele Impressionen wie möglich aufzunehmen. Drechsler, Wohnwagen, Schrebergartensiedlung, rasten die Erinnerungsfetzen durch ihren Kopf. Sie befand sich offensichtlich noch immer dort, der Geruch, die etwas klobig wirkende Einrichtung, der braune, abgetretene Teppichboden – und sie mittendrin, gefesselt an den metallenen Küchenstuhl mit dem türkisfarbenen Polster. Ihre Waden waren mit breitem Klebeband an den vorderen Stuhlbeinen fixiert, die Ellbogengelenke an den Streben der Lehne. Schwere Schritte umrundeten sie, und aus den Augenwinkeln trat ein Mann in den dämmerigen Schein der Beleuchtung. Als er vor die Kommissarin trat und den Kopf zu ihr hinabsenkte, so nah, dass sie seinen schalen Atem riechen konnte, weiteten sich ihre Pupillen.
»B…Brack?«, stammelte sie ungläubig. » Sie? Also doch! Was zum Teufel …«
»Brack, Drechsler, ganz wie Sie wünschen«, lächelte dieser grimmig und richtete sich wieder auf. »Für eine Pfarrerstochter fluchen Sie übrigens nicht schlecht.«
»Was wollen Sie von mir?«, stieß Julia wütend hervor, doch Brack – oder Drechsler – wandte sich
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