Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Stillen versuchte sie zu ergründen, ob sich hinter Sabines Anspannung nicht noch etwas anderes verbarg. Sabine Kaufmann war ein quirliger Wirbelwind mit einer herzlichen, unbeschwerten Art, deren blonder Bubikopf schon so manchem Kollegen den Kopf verdreht hatte. In gewisser Weise hatte sie eine ähnliche Wirkung auf Männer wie Doris Seidel, die seit einigen Jahren die Lebensgefährtin von Peter Kullmer war und sich derzeit in Elternzeit befand. Beide Frauen verband außerdem, dass sie vor ihrer Tätigkeit beim K 11 für die Sitte gearbeitet hatten. Heute jedoch wirkte Sabine, der man ihre dreißig nicht ansah, verbraucht, müde und übernächtigt. Migräne allein, so war sich Julia Durant zunehmend sicher, konnte nicht hinter dieser Veränderung stecken. Sabine Kaufmann war einer jener Menschen, die kaum etwas Privates von sich preisgaben, ohne dabei unnahbar zu wirken. Eine beneidenswerte Fähigkeit, das musste der Neid ihr lassen. Auch ihr höchst diskreter Umgang mit der Beziehung zu Michael Schreck war Ausdruck dessen. Aber alles zu seiner Zeit, rief die Kommissarin sich zur Ordnung und konzentrierte sich wieder auf die Dienstbesprechung.
»Wir benötigen jedenfalls dringend diese richterliche Anordnung«, beharrte sie, »denn ich habe das ungute Gefühl, dass die Zeit in diesem Fall besonders unerbittlich gegen uns arbeitet.«
»Ich habe mich bereits darum gekümmert«, erklärte Berger, »aber herbeizaubern kann ich sie nicht.«
»Meine Befürchtung ist, dass es besonders lange dauert. Wer weiß, ob der Staatsanwalt und von Eisner nicht zufällig im selben Golfclub sind.«
»Frau Durant, ich habe Ihren Wink sehr wohl verstanden«, entgegnete Berger aufgebracht. »Aber den Anteil, den Sie den Behörden als Hinhaltetaktik unterstellen möchten, müssen Sie bei sich selbst im Gegenzug ausbremsen. Vorverurteilen bringt schließlich auch niemandem etwas, richtig?«
»Eine SMS und ein Anruf sind aber schon recht eindeutig«, fügte Hellmer unterstützend hinzu, »das müssen Sie uns zugestehen. Wäre das Bracks Handy gewesen, säße er längst in Untersuchungshaft, stimmt’s?«
»Nicht unbedingt«, wehrte Berger ab, »aber es ist auch müßig, darüber zu diskutieren. Gehen Sie einfach davon aus, dass die Vergleichsprobe bis heute Abend vorliegen wird. Brauchen Sie es auf die Minute genau?«
»Schon gut«, brummte Julia. Insgeheim wusste sie allzu gut, dass sie nicht Berger die Schuld geben durfte. Aber er war es nun einmal, der die oft viel zu langsam mahlenden Mühlen verkörperte, während sie sich draußen die Hacken abrannten.
»Okay. Peter?« Sie wandte sich an Kullmer, neben dem Sabine Kaufmann Platz genommen hatte. »Du bringst Sabine auf den neusten Stand, und dann durchleuchtet ihr bitte die beiden Sekretärinnen und diesen Manduschek. Frank und ich müssen uns jetzt endlich in der Wohnung des toten Mädchens umsehen, wir wissen ja praktisch nichts über sie. Konntest du schon etwas über sie in Erfahrung bringen? Verwandte, Freunde, hat sie studiert oder so?«
»Nicht viel«, verneinte Kullmer. »Ihre Mutter ist in Frankfurt gemeldet, befindet sich aber wohl irgendwie im Entzug oder in der Geschlossenen, das ist noch nicht ganz klar. Ansonsten gibt es nichts, keine Geschwister, keine Verwandten, keine Einschreibung an einer Hochschule. Einen Job hat sie offenbar auch nicht, Sozialleistungen allerdings erhält sie keine. Polizeilich bekannt ist sie als Prostituierte, aber das nur auf Verdacht, denn sie war nie bei einer Agentur oder einem bekannten Zuhälter geführt und beteuerte, als sie einmal bei einer Razzia auffiel, dass sie ausschließlich einvernehmlichen unentgeltlichen Verkehr gehabt habe.«
»Hm, vielleicht findet sich ja etwas in der Wohnung«, nickte Julia und erhob sich langsam. Beim Hinausgehen warf sie einen weiteren Blick auf Sabine; diese wirkte wieder entspannter und lauschte aufmerksam Kullmers Worten.
»Frau Durant?«, erklang es plötzlich, und Julia fuhr erschrocken zusammen. Bergers Stimme. Sie mochte es überhaupt nicht, wenn kurz vor Schließen der Bürotür seine typischen Last-Minute-Kommentare kamen. Schon gar nicht an einem Tag wie diesem, wenn Berger missmutig hinter seinem Tisch saß und seinen Frust offen zur Schau stellte. Doch was blieb ihr übrig? Julia atmete einmal tief durch. »Haben Sie gerufen?«
»Ja. Kommen Sie bitte noch mal herein und schließen Sie die Tür.«
»Sie machen’s aber spannend«, erwiderte Julia mit einem Zwinkern, in der
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