Tödlicher Applaus
er auch versucht hat, sie zu vergewaltigen, weiß die Frau nicht mehr sicher, glaubt es aber. Danach hat er ihr eine Augenbinde angelegt, woraus sie geschlossen hat, dass er sie umbringen will. Aber dann war er plötzlich weg. Die Frau ist dann am Nachmittag von ihrem Mann gefunden worden.«
»Woher weiß man, dass es Tom war?«
»Die Frau hat ihn auf den Fotos, die man ihr gezeigt hat, wiedererkannt.«
»Das alles sieht Tom überhaupt nicht ähnlich. Warum sollte er so etwas tun?«
»Was weiß ich? Ein Gast aus seinem Hotel in Wien hat sich zwei Nächte zuvor über den Lärm im Nachbarzimmer beschwert, angeblich eine Mischung aus lauten Sexspielchen und einer Prügelei.«
Cathrine konnte nichts darauf erwidern. Es sah schlecht aus für Tom, und Lochmann hatte sich allem Anschein nach bereits seine Meinung gebildet.
»Dein Lebensgefährte hat ausgesagt, Tom sei ihm gegenüber sehr aggressiv aufgetreten?«
»Das hat Matthias gesagt? Tom war doch nur betrunken.« Cathrine war wütend. Es passte ihr gar nicht, dies von einem voreingenommenen Ermittler zu erfahren und nicht von Matthias selbst. Lochmann schien ziemlich effektiv vorzugehen.
»Aber du kannst bestätigen, dass sein Verhalten bedrohlich war?«
»Das führt doch zu nichts.« Cathrine beschloss, diese Diskussion zu beenden. Sie war es leid, von Lochmann beeinflusst zu werden, und sie wollte an ihrer Überzeugung festhalten, dass Tom unschuldig war.
Lochmann ignorierte Cathrines Signale und redete weiter: »Die C4-Ladung, die die Beleuchtung in der Osloer Oper außer Kraft gesetzt hat, war in einem Raum platziert, den nur sehr wenige Menschen kennen. Doch Hartmann hat über diesen Raum mal einen Artikel geschrieben: Die unbekannte Welt der Oper . Eine Welt, in der Hartmann sich – allem Anschein nach – sehr gut ausgekannt hat.« Lochmann grinste überlegen.
Cathrine konterte: »Und das Motiv? Ich sehe kein Motiv. Tom liebt die Sänger und die Oper, er würde niemals auf die Idee kommen …«
Lochmann fiel ihr ins Wort: »Mark Chapman liebte John Lennon auch!«
Cathrine wurde still. Dieser Lochmann war ein harter Brocken. Sie suchte nach einer Möglichkeit, diese Argumentation zu durchbrechen.
»Dein Exmann ist der Einzige, der an allen drei Tatorten zugegen war. Die Attentate können nur von jemandem ausgeführt worden sein, der sich in der Oper, deren Auffühungspraxis und in einem Opernhaus auskennt. Und Katja Henning hat er getötet, weil sie zu viel wusste. Du willst ein Motiv? Hartmann will Geschichte schreiben. Er will einfach etwas tun, das in Erinnerung bleibt. Denn er ist gescheitert, als Autor, als Herausgeber und als Ehemann.«
»Halt an!« Cathrines Stimme zitterte.
Lochmann fuhr an den Straßenrand. Cathrine stieg aus und holte ihren Koffer aus dem Kofferraum. Lochmann öffnete seine Tür. »He, nimm das doch nicht persönlich.«
»Wie soll ich das nicht persönlich nehmen? Du redest vom Vater meines Kindes!«
»Steig wieder ein, es ist zu weit, zu laufen.«
»Es ist zu weit, um den ganzen Weg mit dir in einem Auto zu sitzen. Du machst aus dem Vater meiner Tochter einen Mörder. Ich rufe mir ein Taxi.« Cathrine knallte die Wagentür zu und marschierte los. Lochmann fuhr im Schritttempo neben ihr her.
»Wir haben auf Hartmanns Laptop Zeichnungen von Schaltkreisen und detaillierte Pläne der Osloer Oper gefunden.«
»Ein Hacker hat in seinem Auftrag ein Experiment gemacht.«
»Warum hast du mir das nicht gesagt? Das ist kriminell.«
Cathrine ging schneller. Wieder rief Lochmann dieses Schuldgefühl in ihr wach. »Journalisten tun oft unkonventionelle Dinge, um zu einem Artikel zu kommen.« Cathrine bereute ihre Worte im selben Moment.
»Zum Beispiel einen Mord?« Lochmann schoss die Worte wie Projektile auf Cathrine ab. »Wir haben in Katja Henning Sperma gefunden. Je schneller wir ihn finden, desto schneller haben wir Gewissheit.«
Lass das nicht an dich ran, dachte Cathrine und konzentrierte sich darauf, eine Lücke in Lochmanns Theorie zu finden. »Möglicherweise hat er sie kontaktiert, um sie zu interviewen, in Verbindung mit dem Artikel, den er über Medina schreiben soll.« Sie glaubte selbst nicht, was sie sagte.
»Und dann ist irgendjemand in sein Hotelzimmer eingedrungen und hat sie getötet?«
Lochmanns Eifer war so schwindelerregend, dass Cathrine sich an einem Laternenpfahl abstützen musste.
Lochmann wartete im Leerlauf. »Sie haben drei Löcher in dem Schlauch gefunden, der in Medinas Zentralvene
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