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Tödlicher Applaus

Tödlicher Applaus

Titel: Tödlicher Applaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Øystein Wiik
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führte. Einstichlöcher von einer Spritze. Jemand hat Luft in den Schlauch gespritzt, was zu dem Hirnödem geführt hat, an dem Medina gestorben ist. Eine der Krankenschwestern wurde von einem Arzt abgelöst, der später spurlos verschwunden war. Als der Herzstillstand einsetzte, lag Medina allein im Zimmer. Das war nicht so vorgesehen. Dein Exmann, Tom Hartmann, lag im selben Gebäude wie Medina – ehe er vorzeitig aus dem Krankenhaus verschwand, ohne sich bei den Ärzten abzumelden.«
    Endlich kam ein freies Taxi. Sie stieg ein, knallte die Autotür zu, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sie hasste Lochmann, und sie hasste Tom und die Tatsache, dass er ihr noch immer so viel bedeutete. Nur deshalb hatte sie diese idiotische Reise nach Wien unternommen. Sie musste Tom finden, bevor Lochmann ihn fand.
     

Ein ganz normaler Abend in der Oper
    »Keine Bewegung!
    Wenn du auch nur ein Augenlid hebst, erschieße ich dich!
    Wenn jemand die Hand hebt, schieße ich!
    Wenn ich ein Husten höre, schieße ich!
    Ich spritze ihr Gehirn wie Regen über eure Fressen!
    Ihr werdet Gehirnmasse atmen, und sie wird sich wie Reif auf eure Lungen legen!«
    Die Stille im Saal war mit Händen zu greifen. Keine Bewegung, kein Sitzknarren, nicht die Andeutung eines Hustens oder Räusperns.
    Alexander Lamla legte all seine Kraft in die Worte. Trotzdem spürte er diese ungeheure Distanz. Die Worte ließen ihn seltsam kalt, und das beunruhigte ihn. Er hätte so gern etwas gefühlt. Er wollte zeigen, was er drauf hatte, wollte sein Bestes geben, wollte Geschichte schreiben.
    Lamla presste die Mündung seiner Pistole an Olga Martonovas Schläfe, zu grob. Sie hätte am liebsten protestiert, aber sie wusste, dass sie das nicht durfte. Er sah ihren Puls wie eine geballte Faust unter ihrer dünnen Haut schlagen. Die Adern zeichneten sich wie eine blaue Marmorierung auf weißer Seide ab. Sie holte tief Luft und ließ ihren Blick durch den Saal der Wiener Staatsoper schweifen. Olga Martonova war vierzig Jahre alt und eine der führenden Sopranistinnen der Welt. Die kalte Pistolenmündung drückte sich fast durch ihr dünnes Schläfenbein.
    Zum Teufel mit Alexander Lamla! Sie mobilisierte ihre ganze Seelenkraft für ihre Antwort. Keinen Millimeter würde sie zurückweichen, würde ihm psychisch standhalten. Aber sie durfte Lamla nicht provozieren, den Abzug zu drücken. Sie gab sich Mühe, nicht melodramatisch zu wirken. »Erschieß mich nur, ich habe keine Angst vor dem Tod!« Olga Martonovas Stimme überschlug sich bei dem Wort »Angst«. Mein Gott, ich bekomme doch wohl keine Erkältung?
    Alexander Lamla versetzte ihr mit dem Schaft der Waffe einen Schlag gegen den Hinterkopf. Ihr wurde schwarz vor Augen. »Ich brauche nicht zu schießen, an deinem Körper ist eine Granate befestigt! Wenn ich mit meinem Handy eine Nummer wähle, zerreißt es dich in tausend Stücke!«
    »Nur zu!«, antwortete Olga und sprang zum Bühnenrand. »Wähl die Nummer! Los, setz meinem Leiden ein Ende!«
    »Stopp, verdammt! Hört auf! Schluss, aus, Ende!«
    Der junge Regisseur Philip Wassermann unterbrach die abendliche Orchesterprobe und rannte durch den Saal zur Bühne. Der Merinopulli, den er gewöhnlich lässig über der Schulter trug, war verrutscht und seine sonst immer so ordentlich verwuschelten Haare standen in alle Richtungen ab. Sogar das modische Brillengestell wirkte mit einem Mal nicht mehr intellektuell, sondern bieder.
    Angeber, dachte Olga. Sie konnte Philip Wassermann nicht ausstehen.
    »Olga, das wirkt total unglaubwürdig«, sagte Wassermann und putzte seine Brille. »Sie produzieren nur Laute und haben überhaupt nicht verinnerlicht, was Sie da singen. Das ist ein Terroranschlag, Sie haben Todesangst, verdammt noch mal, da steht man nicht rum und sieht nach, wer auf den Plätzen des Opernintendanten sitzt.«
    Philip Wassermann war für seine Direktheit bekannt. Er kam vom Theater und verlangte seinen Sängern mehr ab, als diese es gewohnt waren. Die etablierten Stars hassten ihn dafür, während ihn die jungen, aufstrebenden Sänger vergötterten. Olga Martonova und Alexander Lamla gehörten zu den Etablierten.
    »So reden Sie nicht mit Olga Martonova. Sie ist Kammersängerin!« Lamla war empört und plusterte sich auf wie ein Kampfhahn. Lamla brachte gut hundert Kilo auf die Waage und war sechzig Jahre alt. Trotzdem verkörperte er noch immer den jugendlichen Helden, was eher seiner Stimme als seinem Aussehen zu verdanken war. Auch er war

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