Tödlicher Applaus
keinen Sinn ergaben. Er versuchte, ihnen zu sagen, dass sie Cathrine befreien mussten und dass sie Hans und Rudi Maier in dem Kellerraum finden würden, dass sie aber keinesfalls eine Katze mit einem Sender ins Haus lassen durften. Aber die Worte wollten einfach nicht über seine Lippen. Jemand schlug ihm ins Gesicht, damit er den Mund hielt. Game over. Man verfrachtete ihn in einen gepanzerten Wagen und knallte die Tür hinter ihm zu. Dann war alles schwarz.
Bijelo Polje, neun Monate später
Tom Hartmann stützte sich an der Wand der kleinen Zelle ab, als er sich erhob. Nach wie vor bereiteten ihm manche Bewegungen Schmerzen, aber mit jedem Tag, der vergangen war, hatte er größere Fortschritte gemacht. Er schaute durch die winzige Fensterluke in der dicken Steinmauer. Weit unter ihm breitete sich die Adria aus. Die laue Frühlingsluft trug die achtzehn Schläge des Campanile zu ihm herüber.
Er hatte heute Besuch gehabt – von Michael Steen. Der alte Mann war unangemeldet gekommen und hatte gefragt, ob Tom Zeit für ein Gespräch habe. Im Grunde eine absurde Frage, denn wenn Tom etwas im Überfluss hatte, dann Zeit.
Sie waren in den Klostergarten gegangen, in dem die Luft vom Blütenduft der ersten Vorboten des Sommers erfüllt war, und hatten sich auf einer Steinbank neben einem Springbrunnen niedergelassen, in dem das Wasser aus kleinen Krügen plätscherte, die von Amoretten gehalten wurden.
Michael Steen hatte eine ganze Weile schweigend dagesessen, als suche er nach einer passenden Einleitung für das, was er gleich erzählen würde. Dann sagte er einfach: »Ich danke Ihnen, dass Sie Maria das Leben gerettet haben.«
»Dafür haben Sie mir bereits gedankt, indem Sie großzügig meinen Aufenthalt hier finanzieren. Außerdem sollten Sie nicht mir danken, sondern meiner Frau. Meiner Exfrau, meine ich. Sie hat sich an das Passwort erinnert.«
Steen sah Tom an. »Hätten Sie nicht so lange durchgehalten, hätte niemand das Handy gefunden, und die Bombe … Ich darf gar nicht daran denken. Der Bombenexperte hätte den falschen Draht gekappt. Das hat er selbst gesagt. Er hatte sich entschieden, das gelbe Kabel zu durchtrennen, und das hätte die Katastrophe ausgelöst.«
Tom sah Steen an. Das alles wusste er bereits. Und trotz seines Alters war der Mann klar genug im Kopf, um zu wissen, dass er ihm nichts Neues erzählte. Ganz offensichtlich hatte er etwas anderes auf dem Herzen. Aber was?
Der Fall war längst klar. Rudi Maier und Hans, dessen Leben zuletzt an einem hauchdünnen Faden gehangen hatte, hatten ein Geständnis abgelegt, das Cathrine mit ihrer Zeugenaussage bestätigte. Nachdem Cathrine und die Maierbrüder abtransportiert worden waren und die Polizisten sowie die Cobra-Spezialeinheit sich aus dem Gehöft zurückgezogen hatten, war es zu einer gewaltigen Explosion gekommen, die das alte Gebäude in Schutt und Asche legte. Zusammen mit dem ehemaligen Kinderheim flogen sämtliche Beweise in die Luft. Stan Vasilov war verschwunden, aber Werner Diepold hatte in einer flammenden Fernsehansprache erklärt, dass er nicht aufgeben werde, bis Vasilov gefasst war. Das war das letzte öffentliche Statement in dieser Angelegenheit gewesen.
Toms großartiger Einsatz beim Deaktivieren der Bombe hatte sein Bild in der Öffentlichkeit im Handumdrehen gewandelt. Aus dem gefürchteten Terroristen war ein einsamer Held geworden, der allen Widrigkeiten zum Trotz tapfer weitergekämpft und am Ende das Böse besiegt hatte. Er hatte eine Verwarnung bekommen, weil er nicht direkt zur Polizei gegangen war, aber das Urteil des Volkes war eindeutig.
Rudi Maier wurde wegen mehrfachen Mordes und Hans Maier wegen versuchten Mordes jeweils zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Der Prozess ergab, dass persönliche Rache das Hauptmotiv für die Morde war. Die Verteidigung konnte die Anklagen, die Hans und Rudi gegen Kamarov erhoben hatten, nicht belegen. Dafür hatten Diepolds Aufräumarbeiten und die Explosion in Langenlois gesorgt. Kamarovs Transaktionen wurden mit ein paar halbherzigen Stichproben überprüft. Da diese aber nichts Außergewöhnliches ergaben, schloss Polizeipräsident Werner Diepold rasch die Akte. Man sah keinen Grund, im Fall Victor Kamarov post mortem zu ermitteln. Lochmann erhielt ein offizielles Lob für seinen professionellen Einsatz. Das Leben ging weiter, und das Gedächtnis der Menschen war kurz, das wusste Werner Diepold.
»Wie geht es Ihrer Tochter?« Tom stellte die Frage, um
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