Toedlicher Blick
irgendwie haben wir die alte Lady da mit reingezogen …«
In Rose Maries Vorzimmer blieb er am Schreibtisch der Sekretärin stehen und wählte die Nummer eines Untersuchungsbeamten der Gerichtsmedizin. »Ja, wir haben die Leiche hier«, sagte der Mann. »Ich kann Ihnen im Moment aber nur so viel sagen, dass die Frau schon älter war, dass sie ein Herz-Medikament nahm und dass keine Spuren von Gewaltanwendung an der Leiche zu entdecken sind.«
»Ich bitte Sie, die Autopsie besonders gründlich durchzuführen«, sagte Lucas. »Ich halte es für möglich, dass sie ermordet wurde. Man hat mir gesagt, sie sei zusammengebrochen, als sie gerade Kaffee trank, also müsste man nach Spuren von Gift oder tödlichen Drogen oder so was suchen.«
»Wenn Sie das wünschen, werden wir es auch machen«, sagte der Mann. »Ich gebe es an den Pathologen weiter und sage ihm, er soll sich zügig ans Werk machen.«
»Ich danke Ihnen. Rufen Sie mich an, wenn Sie erste Ergebnisse haben.«
»Selbstverständlich. Hey, Sie wissen, dass die Frau einen Sohn hat? Er ist hier bei uns irgendwo, glaube ich. Ich habe ihn noch nicht weggehen sehen. Erledigt wahrscheinlich den Papierkram.«
»Halten Sie ihn fest«, bat Lucas. »Ich komme sofort rüber zu Ihnen.«
Als er in sein Büro kam, redeten Anderson und Marshall unter der Tür miteinander. Marshall sah ihm entgegen, und Lucas fragte: »Schon gehört?«
Marshall stieß sich vom Türrahmen ab. Er trug einen hüftlangen Wildledermantel mit Wollkragen, und in Verbindung mit dem wettergegerbten Gesicht und den braunen Händen sah er aus wie die leibhaftige Marlboro-Reklame. »Ich glaube nicht«, antwortete er. »Aus Ihrem Gesichtsausdruck schließe ich, dass es keine gute Neuigkeit ist.«
»Helen Qatar ist tot. Ihre Sekretärin hat sie heute Morgen tot im Büro aufgefunden. Die Leiche ist drüben bei der Gerichtsmedizin, und ihr Sohn ist dort. Ich bin auf dem Weg dorthin.«
»Ich komme mit«, sagte Marshall. Er wandte sich an Anderson: »Bis später, Harmon.«
Im Verbindungstunnel sagte Lucas: »Sie und Anderson scheinen gut miteinander auszukommen.«
»Ja. Es gibt eigentlich keinen besonderen Grund dafür. Er ist einfach nur einer von den guten alten Jungs, obwohl er wie ein elender Langweiler oder so ähnlich aussieht.«
Lucas nickte. »Ein kluger Kopf. Er war früher mal ein verdammt guter Straßen-Cop.«
»Ja, das kann ich mir denken«, sagte Marshall. »Ich bin selbst ein verdammt guter Straßen-Cop, und ich will Ihnen mal was verraten: Wenn ich es schaffen sollte, in den Himmel zu kommen, hätte ich nichts dagegen, einen Teil der Ewigkeit damit zu verbringen, gemeinsam mit einer Horde Straßen-Cops in einem kahlen Raum zu sitzen, Kaffee zu trinken und Geschichten zu erzählen.«
»Donnerwetter, Terry, Sie haben ja eine echte poetische Ader …«
Lucas’ Reaktion schien Marshall in Verlegenheit zu bringen. Lucas erkannte das und sagte schnell: »Ich weiß genau, was Sie sagen wollen. Wär keine schlechte Möglichkeit, die Zeit totzuschlagen. Sich Geschichten erzählen … Also, dann erzähle ich Ihnen jetzt mal die Story, wie Del auf dieses verrückte Huhn mit der Zickzack-Schere gestoßen ist …«
Sie lachten noch, als sie die Eingangstür zur Gerichtsmedizin am Ende des Tunnels erreichten. Sie blieben einen Moment stehen, um sich zu beruhigen, gingen dann hinein. Lucas streckte den Kopf durch die Tür zum Büro des Untersuchungsbeamten und fragte: »Wo ist der Sohn?«
»Redet gerade mit dem Doc … Zwei Türen weiter.«
Qatar war ein schmächtiger Mann – nicht gerade klein, aber schlank, und sein Gesicht unter der Stirnglatze war schmal. Die Glatze schien die Gesichtszüge zu weit nach unten zu drücken, so dass die tief liegenden Augen, die zierliche Nase, die vollen Lippen und das runde Kinn in der unteren Hälfte des Ovals falsch platziert wirkten. Sein Gesicht war rosa wie eine Lammkeule; er hatte offensichtlich geweint. Der Doc saß hinter seinem Schreibtisch, und in einer Ecke des Büros hockte eine sanftgesichtige Blondine auf der Kante eines Drehstuhls neben einem Zeichentisch; sie trug eine weiße Bluse und einen Rock, dessen Farbe exakt dem blassen Grün ihrer Augen entsprach. Sie hatte lange Beine, die sie fast ganz zur Schau stellte.
Lucas und Marshall setzten sich, und der Doc sagte: »Mr. Qatar leidet sehr unter dem, was geschehen ist.«
»Mein Beileid«, sagte Lucas. »Ich habe Ihre Mutter vor einigen Tagen getroffen, und ich mochte sie sehr. Eine
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