Toedlicher Blick
entsetzt das Gesicht. »Sie ist tot? Wie ist sie gestorben?«
»An ihrem Schreibtisch. Ich weiß auch nicht … Sie ist einfach gestorben. Sie saß mit einem Becher Kaffee am Schreibtisch und hat einen Schlaganfall gehabt oder so was.«
»Hat sie noch nach Ihnen gerufen oder …«
»Nein, nein, ich war noch gar nicht da, es ist heute am frühen Morgen passiert, als noch keiner außer ihr im Museum war. Als ich ankam, stand die Tür zu ihrem Büro offen, und das Licht brannte. Ich ging rein und sah ihre Beine auf dem Boden. Dann ging ich näher hin und … und da lag sie und … und war tot. Ich habe sofort 911 angerufen, und …« Ihre Stimme brach, und sie fing an, hemmungslos zu schluchzen.
Lucas gab ihr einige Sekunden Zeit, sich wieder zu fassen, sagte dann: »Okay, okay, Mrs. Thompson. Und dann kam die Polizei?«
»Und der Notarzt, aber es war zu spät. Ich hatte gleich gesehen, dass es zu spät war …«
»Okay.«
»Ich weiß gar nicht genau, warum ich Sie anrufe, aber Sie waren doch neulich hier bei ihr, und sie hat diesen Scherz gemacht, sie käm sich wie Miss Marple vor, und jetzt ist sie … tot.«
»Ich spreche mit dem Leichenbeschauer und stelle sicher, dass uns nichts entgeht, was auf einen … ehm, irregulären Tod schließen lassen könnte«, sagte Lucas. »Wir stellen das sicher. Darf ich Sie als Kontaktperson in dieser Sache betrachten oder …?«
»Eigentlich ist das ihr Sohn, aber er ist im Moment vielleicht noch zu … erschüttert. Heute Morgen war er jedenfalls völlig durcheinander. Ich habe ihn angerufen, und er kam sofort her. Er ist fast durchgedreht.«
»Okay«, sagte Lucas. »Ich danke Ihnen für den Anruf.«
»Mr. Davenport … Da ist noch was. Ich weiß nicht, ob ich es überhaupt ansprechen soll …«
»Sprechen Sie an, was immer Sie wollen«, sagte Lucas.
»Also, ich bin ja sicher, dass es ein Schlaganfall oder so was war, jedenfalls ein regulärer Tod, sie war schließlich eine ältere Frau … Aber … aber sie hat ihre Zeitung nicht mitgebracht.«
»Ehm, wie bitte?«
»Seit vielen Jahren, solange ich hier arbeite, hat sie
jeden
Tag die Zeitung mitgebracht. Sie hat mir mal gesagt, wie sich der frühe Morgen bei ihr zu Hause abspielte: Aufstehen, Toilette machen, Frühstück mit Rosinen- oder Kleie-Flocken und einer Schale Joghurt; dabei erstellte sie die Liste der an diesem Tag zu erledigenden Dinge … Die Zeitung holte sie niemals schon zum Frühstück rein. Erst wenn sie das Haus verließ, um zum Museum zu gehen, nahm sie die Zeitung von der Veranda und nahm sie mit zur Arbeit. Wenn der Zeitungsausträger sie mal nicht gebracht hatte oder so was, holte sie sich ein Exemplar aus der Box an der Straßenecke.«
»Es war wirklich
jeden
Tag so?«
»Ja, wirklich jeden Tag. Wenn sie im Büro ankam, legte sie die Zeitung in ihren Eingangskorb und machte sich einen Becher Kaffee, dann beantwortete sie alle eingegangenen E-Mails oder schickte E-Mails an Leute, mit denen sie regelmäßig korrespondierte. Ich brachte meine Zeitung auch mit, aber wir arbeiteten zuerst einmal bis zur Pause an ihrer Liste der Erledigungen, und dann lasen wir zur gleichen Zeit unsere Zeitungen. Aber heute … heute hatte sie keine Zeitung mitgebracht.«
»Was schließen Sie daraus?«
»Es ist einfach nur seltsam. Jeden Tag, und heute nicht … Es steckt wahrscheinlich nichts dahinter, aber es ist wirklich seltsam. Ich wollte das nur mal ansprechen.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Lucas. »Wir werden der Sache nachgehen.«
Lucas legte auf, sah Rose Marie an und sagte: »Scheiße.«
»Ja, es hörte sich irgendwie nicht gut an.«
»Eine nette alte Lady ist gestorben – Helen Qatar von St. Patrick. Es wäre möglich, dass der Totengräber sie umgebracht hat. Verdammt … Sie sagte scherzhaft, sie käme sich wie Miss Marple vor, und vielleicht gehört der Kerl zu ihrem näheren Umfeld und hat was davon spitzgekriegt. Und ich habe ihr nicht gesagt, sie soll sich zurückhalten oder vorsichtig sein, verdammt …«
»Belasten Sie sich nicht allzu sehr mit Schuldgefühlen«, sagte Rose Marie.
»Das tue ich nicht. Aber ich mochte sie. Eines von diesen aktiven alten Vögelchen. Gescheit. Wollte sich nicht zur Ruhe setzen. Gottverdammt.« Er strich sich mit den Fingern beider Hände durchs Haar, verschränkte sie dann im Nacken. »Ich wünschte, ich hätte … Ich weiß nicht, aber da spielt sich was ab, das wir nicht durchschauen. Wir sind anscheinend dichter an dem Killer dran, als wir wissen, und
Weitere Kostenlose Bücher