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Toedlicher Blick

Titel: Toedlicher Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Sandford
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Seminar über Expressionistinnen«, wurde ihm erklärt. Es gab kein Telefon im Unterrichtsraum, aber das Gebäude lag nur zehn Minuten entfernt. Beim Verlassen des Rathauses fing er einen Cop ab, der gerade mit seinem Streifenwagen losfahren wollte. Er dirigierte ihn wie einen Taxifahrer durch die Stadt.
    »Und wer beschützt die Bürger auf der Washington Avenue vor den Rasern, wenn ich zweckentfremdet werde und einen Deputy Chief durch die Stadt chauffieren muss?«, fragte der Cop am Steuer.
    »Ich kann gerne veranlassen, dass Sie zusätzliche Stunden bei der Verkehrskontrolle ableisten dürfen«, sagte Lucas.
    »Eigentlich sollte ich mir so was von einem Typen, der Porschefahrer ist, nicht gefallen lassen«, sagte der Cop. »Sie überschreiten doch die vorgeschriebene Geschwindigkeit noch, wenn Sie in ’nem Parkhaus auf ’nen Stellplatz einbiegen.«
    Beverly Woods Seminar umfasste acht Personen, die sich um einen hellen Ahorntisch lümmelten und auf Fotokopien von Artikeln aus Kunstzeitschriften starrten. Lucas steckte den Kopf durch die Tür, und alle Augen richteten sich auf ihn. »Beverly Wood?«, fragte er.
    »Ja?«
    »Ich bin von der Stadtpolizei Minneapolis. Ich muss Sie dringend sprechen. Nur ganz kurz.«
    »Oh. Ja, natürlich.« Sie sah ihre Schüler an. »Nichts Skandalöses, das versichere ich Ihnen. Lily, würden Sie bitte die Diskussion zu Gabriele Münter schon einmal einleiten. Ich habe Ihre Arbeit darüber gelesen und kenne Ihre Ansichten. Ich bin in einer Minute …« Sie sah Lucas an. »… vermutlich wieder zurück.«
    »Könnten zwei Minuten werden«, sagte Lucas.
    Er führte sie in den Flur und sagte: »Sie haben bereits mehrmals mit Officer Capslock über diese Zeichnungen gesprochen … Ich habe nun eine zusätzliche Frage, wobei ich Sie von Anfang an bitten muss, die Sache absolut für sich zu behalten: Haben Sie schon einmal von einem Mann namens James Qatar gehört? Oder kennen Sie ihn womöglich?«
    Sie legte den Kopf schräg. »Das soll wohl eine Scherzfrage sein, wie?«
    »Sie kennen ihn?«
    »Nicht persönlich. Er hat eine lächerliche Arbeit veröffentlicht, mit dem Titel ›Die Flüsse – Wegbereiter des Expressionismus‹. Er stellt darin die These auf, der europäische Expressionismus habe in den 1930er Jahren den Weg in den Mittleren Westen
langsam
entlang der großen Flusstäler gefunden. Ich fürchte, ich habe ihn in meiner Replik ziemlich lächerlich gemacht.«
    »Auch persönlich?«
    »Alles wird persönlich, wenn es auf den Gefilden der Gelehrsamkeit zu Auseinandersetzungen kommt«, sagte sie. »Ich habe darauf hingewiesen, dass die Theorie der langsamen Verbreitung durch die Flusstäler jeder Grundlage entbehrt, da es zu dieser Zeit bereits Radios, Zeitungen, Bücher, Museen, Züge, Autos und sogar erste Fluglinien gab.«
    »Aber er könnte sich auch persönlich verletzt gefühlt haben?«, fragte Lucas.
    »Das will ich hoffen … Ist er der Mann, der diese Zeichnungen gemacht hat?«
    »Das wissen wir nicht. Sein Name tauchte auf, und wir fragten uns, ob Sie irgendwann einmal Kontakte zu ihm hatten.«
    »Nur in Zusammenhang mit seinem Artikel und meinem Verriss. Ich habe ihn nie kennen gelernt, soweit ich weiß.«
    »Wie viel Zeit verging zwischen der Veröffentlichung Ihrer Replik und dem Auftauchen der Zeichnungen an der Fußgängerbrücke?«, fragte Lucas.
    »Warten Sie mal …« Sie schaute zu Boden und murmelte vor sich hin, sah dann wieder auf. »Vier Monate? Ich hätte das bestimmt Officer Capslock gegenüber erwähnt, aber ehrlich gesagt erschien mir die ganze Sache so trivial – einschließlich meiner kritischen Rezension, meine ich –, dass ich es völlig vergessen hatte.«
    »Was wäre, wenn Sie eine Arbeit veröffentlicht hätten, die dann von einem Kritiker verrissen worden wäre? Hätten Sie sich an diese Kritik erinnert?«
    »O ja, wahrscheinlich mein Leben lang«, sagte sie. »Wie auch immer, ich muss gestehen, dass es mir einen Mordsspaß gemacht hat, mich mit diesem Mann auseinander zu setzen, auch wenn das auf einen Charakterdefekt bei mir schließen lassen könnte.«
    »Ich danke Ihnen«, sagte Lucas. »Noch einmal – bitte sprechen Sie mit keinem Menschen darüber. Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob dieser Mann etwas mit der Sache zu tun hat.«
    »Der Totengräber …?«
    »Wenn er es wäre, sollten wir sehr darauf bedacht sein, seine Aufmerksamkeit nicht vorzeitig zu erregen.«
    Der Cop wartete im Streifenwagen mit laufendem Motor auf Lucas. Als

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