Toedlicher Blick
gekrabbelt wäre – fehlt nur noch, dass mir einer eine Sahnetorte aufs Gesicht drückt … Im Haus ist nichts, gar nichts.«
»Meine Verlobte macht gerade Hackbraten mit Soße und Biskuits«, sagte Lucas. »Warum schaffen Sie Ihren traurigen Hintern nicht zu uns – wir werfen Ihre Kleidung in die Waschmaschine und geben Ihnen was von unserem Essen ab.«
»Da sage ich nicht nein.«
Marshall mochte das Essen, und Weather mochte Marshall.
»Wissen Sie, wir waren nie auf Rache für Laura aus«, erklärte er ihr. »Alles, was wir von Anfang an wollten, war Gerechtigkeit. Aber ich fürchte, die kriegen wir nicht. Ich gehe davon aus, dass bei der ganzen Sache nichts als bürokratisches Gerangel rauskommt, zum Schluss dann wohl vielerlei psychiatrische Behandlungsprogramme für den Dreckskerl … Und Qatar wird wahrscheinlich mit Schadenersatzklagen gegen jedermann in Sichtweite drohen, und dann laufen alle rum wie aufgeschreckte Hühner. Und niemand will was von Laura hören. Niemand außer mir und ihren Eltern und den anderen Familienangehörigen vermisst sie … Sie war ein guter Mensch und hat keinem anderen Menschen je was Böses angetan; mein Gott, vielleicht wäre aus ihr eine gute Köchin geworden, wahrscheinlich ja aber sogar was Besseres als eine Köchin, denke ich. Aber niemand vermisst sie. Wenn wir doch einfach nur ein bisschen Gerechtigkeit für sie erreichen könnten …«
»Er ist einer dieser guten alten Kerle, wie es sie bei uns zu Hause gibt«, sagte Weather, als Marshall gegangen war. Sie war in einer Kleinstadt im Norden Wisconsins aufgewachsen. »Sie wollen alles im Leben einfach und sauber und gerecht halten. Mir gefällt das, auch wenn es solche Idealzustände nur in Märchen gibt.«
»Ja, aber so was gibt’s eben
wirklich
nur in Märchen«, sagte Lucas. »Meistens jedenfalls.«
Am frühen Montagmorgen erhielt Lucas zu Hause einen Anruf von der Sekretärin des Bezirksstaatsanwalts: »Mr. Towson möchte Sie und Sergeant Marcy Sherrill so bald wie möglich sprechen. Wann passt es Ihnen?«
»Ich kann sofort kommen – ist er da?«
»Er ist noch unterwegs. Wäre Ihnen neun Uhr recht?«
»Ja. Bitte verständigen Sie Marcy, okay?«
Randall Towson, sein Stellvertreter Donald Dunn und Richard Kirk, der Chef der Abteilung Schwerverbrechen, erwarteten Lucas und Marcy bereits, als sie zu Towsons Büro kamen. Towson bot ihnen Stühle an und sagte ohne Vorrede: »Der Qatar-Fall … Sie wissen, dass J. B. Glass sein Anwalt ist?«
»Ja, das habe ich gehört«, sagte Lucas, und Marcy nickte.
»Er ist ein guter Mann. Wir fragen uns, wie er auf den Vorschlag eines Teilgeständnisses reagieren würde – schuldig in einem Fall des Mordes zweiten Grades mit Verwahrung in einer psychiatrischen Klinik statt Absitzen einer Strafe im Gefängnis Stillwater. Wenn Qatar für zurechnungsfähig erklärt würde, müsste er die volle Strafe im Knast absitzen.«
»Oh, ich glaube nicht, dass viele Leute mit so einer Lösung glücklich wären.«
Kirk meldete sich: »Aber der Kerl ist ja tatsächlich geisteskrank, und unsere Priorität muss es sein, ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Wenn wir den Richter dazu kriegen, auf Entlassung frühestens nach zwanzig Jahren zu erkennen, kommt er erst wieder raus, wenn er seine Killergelüste überwunden hat.«
»Ach was, das ist doch Quatsch«, sagte Lucas gereizt. »Bei den meisten Mördern dieses Typs mögen ja mit zunehmendem Alter die Killergelüste abflauen, aber es ist keinesfalls bei allen so. Es könnte sein, dass er einen Monat nach seiner Entlassung wieder mordet. Wenn er zwanzig Jahre kriegt und nur zwei Drittel davon absitzen muss, ist er mit einundfünfzig oder zweiundfünfzig wieder raus. Wenn wir auf Mord ersten Grades plädieren und damit durchkommen, muss er mindestens dreißig Jahre absitzen. Und dann hätte ich ein gutes Gefühl. Er käme erst wieder raus, wenn er Ende sechzig ist.«
»Das würden wir ja anstreben, wenn die Beweislage nicht so wacklig wäre«, sagte Dunn.
»Man muss eben manchmal Risiken eingehen«, sagte Lucas. Die Cops hassten das vorsichtige Taktieren der Staatsanwälte: Die Bezirksstaatsanwaltschaft hatte eine fast hundertprozentige Erfolgsquote bei den Verurteilungen aufzuweisen – was sich in den Medien bei Wahlen für die Postenbesetzung großartig machte, vornehmlich aber darauf zurückzuführen war, dass man nur sichere Fälle vor Gericht brachte. Alles andere wurde über Deals abgewickelt oder erst gar nicht zur Anklage
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