Toedlicher Blick
offenbaren.«
»Großartig«, freute sich Sloan.
»Aber ich glaube nicht, dass einer davon euer Mann ist«, sagte Ware.
»Warum nicht?« Sloan besaß die Fähigkeit, Fragen mit besonderem Eifer in der Stimme zu stellen und damit die Antwortbereitschaft zu fördern.
Ware schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. »Weil ich glaube, Ihrem Mann schon mal begegnet zu sein. Bei einer Fotoausstellung im Institut.«
»Im Kunstinstitut?«, vergewisserte sich Sloan.
Ware nickte, ohne die Augen zu öffnen. »Aber das ist lange her – zehn Jahre vielleicht. Der Mann war ungefähr fünfundzwanzig und schaute sich eine Aktfoto-Serie von Edward Weston an. Manchmal kann ich aus der Art und Weise, mit der Leute eine … eine bestimmte Art von Bildern betrachten, erkennen, ob sie Enthusiasten sind. Dieser Mann
hatte
diesen besonderen Blick … Im Übrigen sieht er dem Mann auf Ihrem Foto nur andeutungsweise ähnlich.«
»Was hat der Mann damals gesagt?«
»Er sprach davon, dass Weston Fotografien machen konnte, die so makellos wie feine Zeichnungen wirken. Er nahm einen Bleistift aus der Jackentasche und zeigte mit dem Radiergummiende auf, wie man den Linien eines Körpers folgen und damit eine ganz neue Kreation schaffen könne. Die
Ekstase
in seinen Ausführungen war nicht zu übersehen.«
Sloan sah Lucas an, dann wieder Ware. »Sehr interessant. Erinnern Sie sich an seinen Namen? Haben Sie ihn seitdem wieder getroffen? Wissen Sie, welchen Beruf er hat oder wo er arbeitet?«
Ware öffnete die Augen und sah Lucas an. »Seinen Namen habe ich nie erfahren, und ich kann mich nicht erinnern, ihn seit diesem Tag einmal wieder gesehen zu haben. Und ich weiß nicht, wo er arbeitet. Es ist ja schon so lange her … Aber eines ist mir im Zusammenhang mit seinem … Enthusiasmus aufgefallen. Ich weiß nicht mehr genau, was es war, aber er sagte etwas, was mich zu der Überzeugung kommen ließ, er sei ein Priester. Katholischer Priester. Oder ein Student in der Ausbildung zum Priester oder so was.«
»Tatsächlich?« Sloans Augenbrauen fuhren hoch.
»Er sagte etwas, das mich glauben ließ, er sei Priester«, bestätigte Ware.
»Ein Priester?«
»Das ist ja der einzige Grund dafür, dass mir das alles so lange im Gedächtnis geblieben ist: Er war Priester, und sein
Enthusiasmus
für diese Aktfotos war absolut deutlich zu erkennen.«
»Trug er einen Priesterkragen?«
»Nein, nichts dergleichen. Aber wenn man Priester ist und zu einer Austellung von Aktfotos geht, legt man den Kragen ja wohl nicht um, oder?«
Sloan zählte an den Fingern ab: »Er war Enthusiast dieses Fotogenres, er sprach ekstatisch darüber, er verglich Aktfotos mit Zeichnungen …«
»Noch eine andere Sache: Er war ganz offensichtlich ein Enthusiast im Hinblick auf diese Fotografien, und er erkannte in mir wohl einen Bruder im Geiste. Wir gingen ein Stück gemeinsam durch die Ausstellung, sahen uns die Fotos an und tauschten unsere Meinungen darüber aus, und ich sagte etwas in der Richtung, Frauen seien unendlich faszinierend. Er schüttelte den Kopf und sagte: ›Nicht unendlich.‹ Mit dieser Betonung: ›Nicht un-endlich.‹ Und er sah mich dabei an, und ich bekam Angst vor ihm. Ja, echte Angst.«
Diese Aussage interessierte Lucas: »Hmm, Sie wurden mitten am Tag, in einer Ausstellung, von Angst überfallen?«
»Ja«, sagte Ware und nickte. »In den achtziger Jahren gab es Gerüchte über mexikanische Filme mit echten Todesszenen. Verstehen Sie – eine Frau wird überfallen, in ein Lagerhaus verschleppt, verprügelt und vergewaltigt und dann abgemurkst, alles vor laufender Kamera. Es waren tatsächlich ein paar solcher Filme auf dem Markt, wenn auch bei den meisten die Szenen getürkt waren. Es gab gelegentlich Leute, die sich dafür interessierten. Manchmal waren es Cops, manchmal Reporter, manchmal Kuriositätensammler. Und manchmal waren es Menschen, die einem Angst einjagten. Menschen, die
wirkliche
Todesszenen sehen wollten. Und diesen Eindruck hatte ich bei diesem Priester.«
»Aber Sie wissen nicht mit Sicherheit, dass er Priester war?«, wollte Sloan noch einmal geklärt wissen.
»Er hat irgendwas gesagt, das mich zu dieser Annahme veranlasst hat.«
Sloan ging zu einem anderen Thema über: »Haben Sie so etwas wie diese Zeichnungen schon mal im Internet gesehen?«
»Nein. Porno-Freaks ziehen Fotografien vor. Und sie mögen spezielle Details: Man zeigt ihnen eine Klitoris in der Größe einer Chilischote, und sie verlangen, dass
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