Toedlicher Blick
unbeliebt. Ich weiß nicht, ob so was einen in den Selbstmord treiben kann.«
»Ich will Ihnen was sagen, Mrs. Qatar: Bei einem Depressiven kann der kleinste Zwischenfall zu Selbstmordgedanken führen. Er spritzt versehentlich Tinte auf sein Hemd und meint, die einzige Antwort darauf bestehe in Selbstmord. Unbeliebtheit am Arbeitsplatz wäre für einen solchen Schritt völlig ausreichend.«
»Ich überlasse es Ihnen, eventuelle Schlüsse daraus zu ziehen«, sagte sie. »Und inzwischen werde ich darüber nachdenken, was ich mit dem Monster gemeinsam haben könnte.«
Der Mörder und Aronson waren also in St. Patrick gewesen, zumindest auf dem Radweg in der Nähe des Campus der Universität. Auf dem Foto waren keine Fahrräder zu sehen, was Lucas annehmen ließ, dass sie zu Fuß unterwegs gewesen waren. Wenn das aber stimmte, waren sie auf der falschen Seite des Campus gewesen, um einen Einkaufsbummel im Studentenviertel zu machen. Einfach ein Spaziergang? Es konnte aber auch sehr gut sein, dass sie irgendwas direkt mit der Universität zu tun hatten.
Lucas ging zu seinem Wagen, stieg ein, steckte den Zündschlüssel ins Schloss, nahm dann aber erst einmal sein Handy aus der Tasche. Er ließ sich von der Zentrale die Nummer des Leichenbeschauers des Ramsey County geben und landete schließlich bei einem Detective namens Flanagan, den er von der Zusammenarbeit bei früheren Fällen kannte.
»Ich kann Ihnen nicht viel dazu sagen, Lucas. Wir wissen noch nicht genau, was ihren Tod verursacht hat. Anscheinend ist sie in voller Bekleidung und körperlich intakt von der Brücke gesprungen, und dann, als sie über den Damm gespült worden war, geriet sie in irgendeinen Wirbel, was ihr den Rest gegeben hat. Wir nehmen an, dass ein massiver Anprall mit dem Kopf sie getötet hat; sieht aus, als sei sie mit dem Kopf gegen einen Brückenpfeiler geprallt, nachdem sie sich runtergestürzt hat.«
»Das glauben Sie doch selbst nicht, Henry«, sagte Lucas. »Sie soll sich kopfüber von der Brücke gestürzt haben? Als ob sie sich mit einem perfekten Hechtsprung vom Leben verabschieden wollte? Ohne Zuschauer?«
»Nein, das behaupte ich nicht. Ich sage nur, dass sie mit dem Kopf gegen etwas Hartes geprallt ist, was ihren Tod herbeigeführt hat.«
»Halten Sie es für Selbstmord?«
»Sie hat keine Verletzungen an den Händen«, sagte Flanagan. »Keinerlei Verteidigungswunden. Kein Blut in ihrem Wagen.«
»Sie stufen es offiziell also als Selbstmord ein?«
»Wir stufen es als ›unbekannte Todesursache‹ ein. Ich weiß nicht, ob sich daran noch was ändert. Wie ich schon auszudrücken versuchte: Die Leiche ist übel zugerichtet.«
»War sie eine große Frau? Kräftig?«
»Groß, aber nicht besonders kräftig. Körperlich wenig trainiert.«
»Okay … Rufen Sie mich an, wenn Sie zu einem anderen Urteil kommen.«
»Gibt es einen Zusammenhang mit einem wichtigen Fall?«
»Das weiß ich noch nicht.«
»St. Paul hat die Unterlagen. Man hat uns erst gestern Abend die Leiche übergeben, so dass alles noch ziemlich unausgegoren ist. Wir haben inzwischen eine Verwandte in Kalifornien verständigt … eine Schwester.«
Er hatte eigentlich einige Befragungen in der Stadt machen wollen, war bisher aber nicht dazu gekommen. Er sah auf die Uhr, rief dann die Zentrale der Stadtpolizei von St. Paul an und ließ sich zur Mordkommission durchstellen. Ein Detective namens Allport, sein alter Bekannter, nahm den Anruf entgegen. Wieder einmal machte er sich über Lucas’ Familiennamen lustig – Davenport ist die Bezeichnung für eine spezielle Bettcouch: »Wir brauchen keine Bettcouch«, sagte er. »Wir haben gerade eine neue bekommen, ein kleines, klassisches, kariert bezogenes Ding im Stil einer Ottomane.«
»Ich rufe ja nur an, um Ihnen mitzuteilen, dass Ihre Frau sich scheiden lassen will. Wir beide werden uns nach Mallorca absetzen, um die Praktiken des oralen Sex zu studieren.«
»Na, da kann ich Ihnen nur eines mit Sicherheit sagen – Sie haben sich die gottverdammt falsche Frau dazu ausgesucht«, lachte Allport. »Ich hoffe, das ist ein rein privater Anruf. Wie ich höre, bearbeiten Sie diesen Friedhof-Fall …«
»Ja. Und ich bin dabei auf eine obskure Sache gestoßen, einen Zusammenhang, der vielleicht gar keiner ist. Die Frau, die als Letzte umgebracht wurde – Aronson, erinnern Sie sich? – war ein paar Tage vor ihrer Ermordung drüben in St. Patrick, wahrscheinlich zusammen mit dem Mörder. Wir gehen davon aus, dass der
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