Tödlicher Irrtum
Mutter war mit einem anderen Mann auf und davon gegangen.
Sicherlich war es gut und richtig gewesen, sich dieser armen Kinder anzunehmen, dachte Leo, nur hatte sich in gewisser Weise alles anders entwickelt, als Rachel hoffte. Denn diese Kinder waren nun mal nicht sein und Rachels Fleisch und Blut, sie konnten weder die Strebsamkeit und den Fleiß von Rachels Ahnen geerbt haben noch die Herzensgüte seiner eigenen Eltern und die Intelligenz seiner Familie väterlicherseits.
Bestimmt übte die Umgebung einen guten Einfluss auf die Kinder aus, aber es lässt sich nun einmal nicht alles durch liebende Fürsorge und gute Erziehung erreichen.
Vor allem der kleine Clark besaß gewisse schlechte Eigenschaften und Schwächen. Der charmante, aufgeweckte Junge hatte leider kriminelle Instinkte, die sich schon früh zeigten. Rachel war der Meinung, dass man ihm seine kleinen Diebereien und Lügen abgewöhnen könne, aber leider hatte sie sich geirrt.
Clark war ein schlechter Schüler, und später wurde er von der Universität relegiert.
Dann begannen für Leo und Rachel die wirklichen Schwierigkeiten; sie versuchten, eine Reihe peinlicher Zwischenfälle zu übersehen und den Jungen mit Liebe und Güte auf die rechte Bahn zu bringen. Und schließlich war es dann zu jenem letzten Tag gekommen, an dem ihm das Gefängnis gedroht hatte. Ohne einen Penny war er im Sonneneck erschienen und hatte kategorisch eine große Geldsumme gefordert. Als ihm diese verweigert wurde, verließ er das Haus mit der Drohung, er werde zurückkommen und sich das Geld holen.
An diesem Tag war Rachel ermordet worden.
Wie weit entfernt das alles jetzt war – die langen Kriegsjahre, die vielen Kinder in ihrem Haus… Auch seine eigene Person blieb in der Erinnerung nur ein farbloser Schatten. Und nicht nur in der Erinnerung, er war noch immer müde, geistig erschöpft, als wäre mit dem Tod der robusten, lebensfrohen Rachel auch seine Lebenskraft verronnen. Und in seiner Erschöpfung sehnte er sich nach Liebe und Geborgenheit.
Er konnte sich nicht entsinnen, wann er zuerst bemerkte, dass es einen Menschen gab, der ihm das bieten konnte – Gwenda, die perfekte, stets hilfsbereite Sekretärin, klug und gütig, immer zu seiner Verfügung. In gewisser Weise erinnerte sie ihn an die junge Rachel der Verlobungszeit. Wann hatte er bemerkt, dass sie ihn liebte? Er wusste es nicht genau; jedenfalls war es keine plötzliche Offenbarung gewesen.
Aber er entsann sich genau des Tages, an dem ihm klar wurde, dass auch er sie liebte und dass sie ihm, solange Rachel lebte, nicht gehören konnte.
Leo seufzte, beugte sich vor und trank seinen kalt gewordenen Tee.
9
W enige Minuten nachdem Calgary ihn verlassen hatte, empfing Dr. MacMaster einen zweiten Besucher, den er gut kannte und entsprechend erfreut begrüßte.
»Wie nett, Sie zu sehen, Don! Kommen Sie herein, erzählen Sie! Ja, ich sehe es an Ihrer gerunzelten Stirn, dass Sie etwas auf dem Herzen haben!«
Dr. Donald Craig lächelte betrübt. Er war ein gut aussehender, seriöser junger Mann, der sich und seine Arbeit sehr ernst nahm. Der alte Arzt mochte seinen Nachfolger gut leiden, obwohl er manchmal wünschte, dass der Gute etwas mehr Sinn für Humor hätte.
Craig lehnte das Angebot, etwas zu trinken, dankend ab und kam sofort zur Sache.
»Ich mache mir große Sorgen, MacMaster«, sagte er.
»Ein komplizierter Fall?«, fragte Mr MacMaster.
»Nein, es hat nichts mit der Praxis zu tun, es handelt sich um eine persönliche Angelegenheit«, erwiderte Craig.
MacMasters Gesichtsausdruck veränderte sich sofort.
»Das tut mir Leid, mein Junge. Was ist los?«
»Es ist ziemlich verzwickt, und ich muss Sie um Ihren Rat bitten, Mac, weil Sie die Familie so gut kennen.«
MacMaster hob die buschigen Augenbrauen.
»Um was handelt es sich?«
»Um die Jacksons – ich nehme an, Sie wissen, dass Hester Jackson und ich – «
Der alte Arzt nickte.
»Ich liebe sie sehr«, sagte Donald einfach, »und ich glaube, annehmen zu dürfen, dass sie meine Zuneigung erwidert – und jetzt – jetzt überstürzen sich in den letzten Tagen plötzlich die Ereignisse!«
»Sprechen Sie von Clark Jacksons Begnadigung, die leider zu spät gekommen ist?«
»Ja, und ich muss zugeben, dass es mir lieber gewesen wäre, wenn diese neuen Beweise nicht ans Licht gekommen wären.«
»Sie sind nicht der Einzige, der diese Ansicht vertritt«, erwiderte MacMaster. »In diesem Punkt sind sich alle einig – der
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