Tödlicher Irrtum
Geheimnis war; auch die Polizei musste davon gehört haben. In dieser Richtung würden sie natürlich versuchen, Erkundigungen einzuziehen. Das klassische Muster: Ehemann, Ehefrau und die »andere«.
Aber Marshall konnte sich nicht vorstellen, dass Jackson seine Frau ermordet hatte. Er kannte ihn seit Jahren und hatte eine sehr hohe Meinung von ihm. Ein Intellektueller, ein warmherziger, hochgebildeter Mensch, ganz in seiner Arbeit aufgehend – keinesfalls ein Mann, der seine Frau mit dem Feuerhaken erschlagen würde!
Und Gwenda Smith? Von ihr wusste er nur wenig. Er betrachtete ihre vollen Lippen, ihre reife Figur. Sie liebte Leo wahrscheinlich seit Jahren. Wie wäre Mrs Jacksons Einstellung zu einer Scheidung gewesen? Er hatte keine Ahnung, aber er zweifelte daran, dass Leo Jackson bei seinen altmodischen Ansichten eine Scheidung auch nur in Betracht gezogen hätte; auch glaubte er nicht, dass Gwenda seine Geliebte war.
Umso mehr Grund für sie, Mrs Jackson umbringen zu wollen! Würde sie Clark, ohne mit der Wimper zu zucken, preisgegeben haben? Clarks Charme hatte seine Wirkung auf Gwenda immer verfehlt, und Marshall wusste nur zu gut, wie rücksichtslos und hemmungslos Frauen sein konnten.
Gwenda Smith musste man im Auge behalten, aber er bezweifelte, dass es der Polizei jetzt noch gelingen würde, genügend Beweise gegen sie zu erbringen. Sie war an jenem Tag im Haus gewesen, und zwar in der Bibliothek mit Leo; nachdem sie ihm gute Nacht gesagt hatte, war sie die Treppe hinuntergestiegen, und niemand wusste, ob sie noch in Mrs Jacksons Zimmer gegangen war, ob sie den Feuerhaken ergriffen und sie hinterrücks erschlagen hatte.
Sein Blick fiel auf Hester. Ein hübsches Kind, nein, eine Schönheit! Eine seltsame, fast beängstigende Schönheit. Er hätte zu gern gewusst, wer ihre Eltern waren. Sie war irgendwie wild, ungezügelt, verzweifelt – ja, verzweifelt! Aber warum?
Sie war von zu Hause fortgelaufen, um zur Bühne zu gehen, sah jedoch ihren Irrtum bald ein und kehrte zurück in ihr Elternhaus, wo sie sich schnell wieder einzuleben schien.
Immerhin konnte man auch Hester nicht ganz ausschalten. Wer wusste, wozu sie in einem Augenblick der Verzweiflung fähig sein konnte? Aber auch für Hesters Schuld würde die Polizei keine Anhaltspunkte finden.
Marshalls Überlegungen nahmen nicht sehr viel Zeit in Anspruch. Er blickte auf und bemerkte, dass Micky ihn spöttisch ansah.
»Sie sind also zu der Überzeugung gekommen, dass es ein Außenstehender war? Ein Dieb und Mörder, dem es geglückt ist, mit heiler Haut davonzukommen?«
»Ja, darauf wird es wohl hinauslaufen«, erwiderte Marshall.
Micky warf sich in seinem Stuhl zurück und lachte.
»Das ist und bleibt unsere Version, von der wir uns nicht abbringen lassen – stimmt’s?«
»Dazu möchte ich Ihnen jedenfalls raten, Michael«, erwiderte Marshall in warnendem Ton.
Micky nickte.
»Wahrscheinlich haben Sie Recht, aber Sie selbst glauben nicht daran, nicht wahr?«
Mr Marshall sah ihn strafend an. Warum hatten gewisse Leute kein Gefühl für Diskretion? Warum wussten sie nicht, dass es Dinge gab, die besser unausgesprochen blieben?
»Ich habe dem Rat, den ich Ihnen gab, nichts hinzuzufügen.«
Micky blickte in die Runde.
»Was haltet ihr denn davon?«, fragte er. »Warum sitzt du eigentlich so still und hochmütig da, Tina? Hast du dir keine eigene Meinung gebildet? Und du, Mary? Du hast auch noch nicht viel gesagt!«
»Selbstverständlich bin ich der gleichen Meinung wie Mr Marshall«, erwiderte Mary scharf. »Es ist die einzige Lösung.«
»Philip ist anderer Meinung«, bemerkte Micky.
Mary sah ihren Mann ärgerlich an. Philip Durrant sagte leise: »Du solltest lieber den Mund halten, Micky. Reden tut nicht gut, wenn man in einer verzwickten Lage ist – und wir sind in einer sehr verzwickten Lage.«
»Niemand von uns scheint eine eigene Meinung zu haben«, stellte Micky fest. »Auch gut, wie ihr wollt! Ich würde nur vorschlagen, dass wir uns die Lage heute Abend im Bett noch einmal gründlich überlegen; man möchte ja schließlich wissen, woran man ist. Hast du auch keine Ahnung, Kirsty? Du wusstest doch früher immer alles, obwohl du es meistens vorgezogen hast, zu schweigen.«
»Du solltest deinen Mund wirklich nicht so weit aufreißen, Micky«, erwiderte sie scharf. »Ich gebe Mr Marshall recht – Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.«
»Wie wäre es mit einer Abstimmung?«, meinte Micky etwas spöttisch. »Oder vielleicht
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