Tödlicher Irrtum
könnten wir jeder einen Namen auf ein Stück Papier schreiben und es in einen Hut werfen. Es wäre interessant festzustellen, wer mit überwiegender Mehrheit als Täter gewählt wird!«
Kirsten Lindstrom hob ihre Stimme.
»Schweig! Benimm dich nicht wie ein dummer, kleiner Junge, Micky.«
»Ich hab nur vorgeschlagen, noch einmal über alles nachzudenken«, erwiderte Micky verdutzt.
»Wir werden darüber nachdenken«, sagte Kirsten Lindstrom bitter.
11
D ie Nacht senkte sich über Haus Sonneneck.
Im Schutz seiner Mauern zogen sich sieben Menschen auf ihre Zimmer zurück, aber keiner der sieben vermochte zu schlafen… Philip Durrant, der infolge seiner Krankheit nicht mehr imstande war, sich frei zu bewegen, fand Trost in geistiger Regsamkeit.
Von jeher ein hochintelligenter Mann, entdeckte er, früher eher ein Mann der Tat, die Freuden des Denkens. War seine lebhafte Phantasie vor seiner Krankheit vor allem darauf gerichtet gewesen, neue Geldquellen zu erschließen, bedeutete es ihm nun ein besonderes Vergnügen, die Menschen in seiner Umgebung zu beobachten, ja zu analysieren. Es reizte ihn auch, durch bestimmte Bemerkungen die Reaktionen anderer in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken. Was er sagte und tat, war oft nicht spontan, sondern wohldurchdacht und zielte nur darauf ab, eine bestimmte Antwort des Gegenübers zu provozieren. Es war eine Art Spiel für Philip Durrant: Wenn wirklich die erwartete Antwort kam, schrieb er sie sich in seiner privaten »Buchführung« gut.
Aufgrund dieses Zeitvertreibs wurde er, wohl zum ersten Mal in seinem Leben, auch auf die Realitäten aufmerksam, die Leben und Denkweise der Menschen auf die verschiedenste Weise bestimmten.
Menschen »als solche« hatten ihn vorher eigentlich wenig interessiert. Den einen mochte er, den anderen nicht, jener amüsierte ihn, jener langweilte ihn zu Tode. Vielleicht lag es sogar an seiner mangelnden Menschenkenntnis, dass all seine geschäftlichen Unternehmungen und finanziellen Transaktionen mit einem Misserfolg endeten. Menschen hatte er stets nur als seelenlose Schachfiguren betrachtet – jetzt, krank und unfähig, sein früheres aktives Leben fortzusetzen, fühlte er sich gezwungen, die Menschen, die ihm begegneten, in ihrer Eigenart zu sehen und, wenn möglich, zu verstehen.
Begonnen hatte es schon im Krankenhaus, wo er schließlich nichts Wichtigeres zu tun hatte, als sich mit dem Liebesleben der Schwestern zu beschäftigen und den geheimen Intrigen hinter den Kulissen der Krankenbetreuung nachzuspüren.
Und mittlerweile war ihm sein Beobachtungsposten zur Gewohnheit geworden. Menschen – das war alles, was das Leben ihm noch zu bieten hatte; Menschen zu studieren, ihre tiefsten Gedanken und Gefühle zu ergründen, zu erkennen, was sie krank und unglücklich machte, was sie glücklich und zufrieden leben ließ.
Wirklich, das alles war interessant, spannend, aufregend…
Erst an diesem Abend, in der Bibliothek, war er sich darüber klar geworden, wie wenig er eigentlich von der Familie seiner Frau wusste. Wie schlecht kannte man doch die Menschen, mit denen man täglich in Berührung kam – selbst seine eigene Frau! Ja, was wusste er eigentlich von Mary?
Er hatte sich nicht nur in ihr hübsches Gesicht verliebt, sondern nicht zuletzt in ihre ernste, ruhige Art. Außerdem hatte sie Geld, und auch das spielte für ihn eine nicht unwesentliche Rolle. Sie heirateten, sie waren glücklich, er gab ihr den Kosenamen Polly, er fand Vergnügen daran, sie zu necken und ihren erstaunten Blick zu sehen, wenn sie einen seiner Scherze nicht verstand.
Aber was wusste er von ihr? Es war gut, eine liebende, besorgte Frau zu haben, wenn man ihr täglich neun bis zehn Stunden lang entkommen konnte, aber von morgens bis abends behütet und beobachtet zu werden, war ein bisschen zu viel. Er sehnte sich fast danach, einmal etwas vernachlässigt zu werden… Man musste versuchen, einen Fluchtweg zu finden, und der Einzige, der ihm blieb, lag auf geistigem Gebiet – nachzudenken, zu beobachten, Betrachtungen über andere anzustellen.
Zum Beispiel darüber nachzudenken, wer für den Tod seiner Schwiegermutter verantwortlich war!
Er konnte Mrs Jackson von Anfang an nicht leiden, und dieses Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit. Sie war gegen die Heirat gewesen, aber es war ihr nicht gelungen, Mary davon abzubringen.
Zunächst verlief sein Leben mit Mary sehr glücklich, sie waren frei und unabhängig. Aber bald begann alles schief zu
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