Tödlicher Irrtum
vorbei die Treppe hinunter. Tina überquerte den Korridor, kam an der Tür zur Bibliothek vorbei und ging weiter bis zum Ende des Flurs, zu den Räumen, die das Ehepaar Durrant bewohnte. Kirsten Lindstrom, die mit einem Tablett in der Hand vor Philips Tür stand, wandte sich heftig um.
»Tina! Du hast mir vielleicht einen Schreck eingejagt«, sagte sie. »Ich wollte Philip gerade Kaffee und Kuchen bringen.«
Kirsten klopfte an die Tür und öffnete sie. Sie betrat als Erste das Zimmer. Ihre große hagere Gestalt versperrte Tina die Sicht… dann hörte sie Kirstens Aufschrei. Die Arme versagten ihr den Dienst, das Tablett glitt ihr aus der Hand, und Tasse und Teller fielen krachend zu Boden.
»Nein, o nein!« schrie Kirsten.
»Philip?« fragte Tina.
Sie eilte an Kirsten vorbei und sah Philip Durrant in seinem Rollstuhl neben dem Schreibtisch sitzen. Wahrscheinlich hatte er geschrieben, denn neben seiner rechten Hand lag ein Kugelschreiber; sein Kopf hing seltsam verrenkt vornüber. Auf seinem Nacken bemerkte sie einen kreisrunden roten Fleck; auch auf seinem weißen Kragen waren ein paar Tropfen Blut.
»Er ist ermordet worden – ein Stich in den Hinterkopf!«, flüsterte Kirsten, dann fuhr sie mit erhobener Stimme fort: »Ich habe ihn gewarnt, ich habe alles getan, was in meiner Macht stand, aber er war wie ein Kind, das nicht hören will.«
»Das alles ist wie ein böser Traum«, sagte Tina, während sie auf Philip niederblickte. Kirsten ergriff seine leblose Hand und fühlte nach dem Puls, der nicht mehr schlug.
Wenn ich nur wüsste, was er mich fragen wollte, dachte Tina, während sie rein mechanisch alle Einzelheiten um sich herum registrierte. Hier lag der Kugelschreiber, er hatte geschrieben, aber wo war das Papier? Wer immer ihn ermordet hatte, musste es fortgenommen haben.
»Wir müssen es den anderen mitteilen«, meinte Tina.
»Ja, wir müssen hinuntergehen und es deinem Vater sagen.«
Die beiden Frauen gingen zur Tür, Kirsten legte ihren Arm um Tinas Schulter. Tinas Blick fiel auf das Tablett und das Geschirr, das neben dem Kamin auf dem Fußboden lag.
»Das können wir später wegräumen«, stellte Kirsten fest.
Tina wäre fast gestolpert, aber Kirsten stützte sie mit festem Griff. »Vorsicht!« mahnte sie.
Sie gingen durch den Korridor. Die Tür zur Bibliothek wurde geöffnet, Leo und Gwenda kamen heraus.
»Philip ist ermordet worden. Erstochen!«, sagte Tina mit klarer, deutlicher Stimme.
Ein Traum, ein böser Traum, dachte Tina. Wie im Traum hörte sie die entsetzten Ausrufe ihres Vaters und Gwendas, während ihre Gedanken zurück zu Philip schweiften – zum toten Philip.
Kirsten eilte zur Treppe. »Ich muss es Mary sagen! Die Arme, es wird ein furchtbarer Schlag für sie sein.«
Tina folgte ihr langsam. Immer mehr hatte sie das Gefühl zu träumen… Ein sonderbarer Schmerz verkrampfte ihr Herz. Wohin ging sie? Sie wusste es nicht. Alles war unwirklich und verschwommen. Sie schritt, durch die offene Haustür in den Garten, sie sah Micky um die Ecke biegen… Sie ging wie aufgezogen auf ihn zu…
»Micky«, sagte sie, »oh, Micky«, und fiel in seine Arme.
»Ist ja schon gut, Tina. Ich bin ja da«, sagte er leise.
Tina sank in seinen Armen zusammen.
In diesem Augenblick rannte Hester aus dem Haus.
»Hester! Tina ist ohnmächtig geworden«, rief Micky ihr zu.
»Es ist der Schock«, sagte Hester.
»Schock? Was für ein Schock?«
»Philip ist ermordet worden, weißt du das noch nicht?«, fragte Hester.
»Woher soll ich das wissen? Wann? Wie?«
»Gerade eben.«
Er starrte sie entgeistert an, dann hob er Tina auf und trug sie, von Hester begleitet, in Mrs Jacksons Wohnzimmer, wo er sie auf das Sofa legte.
»Ruf sofort bei Dr. Craig an«, befahl er.
Hester blickte aus dem Fenster. »Sein Wagen fährt gerade vor. Vater hat ihn bereits hergerufen. Ich… ich möchte ihm nicht begegnen.«
Sie verließ das Zimmer und lief die Treppe hinauf.
Donald Craig stieg aus seinem Wagen und betrat kurz darauf das Haus.
Kirsten kam aus der Küche, um ihn zu begrüßen.
»Was ist geschehen, Miss Lindstrom? Mr Jackson hat mir gesagt, dass Philip Durrant ermordet worden sei…«
»Ja, so ist es«, bestätigte Kirsten.
»Hat Mr Jackson die Polizei verständigt?«
»Ich weiß nicht.«
»Ist es möglich, dass er nur verletzt ist?«, fragte Don.
»Nein, er ist tot«, entgegnete Kirsten mit tonloser, müder Stimme.
»Erstochen – hier…«
Sie legte ihre Hand auf den Nacken.
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