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Tödlicher Irrtum

Tödlicher Irrtum

Titel: Tödlicher Irrtum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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So hatte sie ihren Mann noch nie gesehen.
    »Was gehen mich andere Leute an?«, fragte sie trotzig.
    Philip trommelte mit den Fingern auf der Armlehne, dann stieß er sein Frühstückstablett fort.
    »Nimm das weg, ich bin fertig.«
    »Aber Philip – «
    Er machte eine ungeduldige Bewegung. Mary nahm das Tablett und trug es aus dem Zimmer.
    Philip fuhr seinen Rollstuhl zum Schreibtisch. Mit dem Kugelschreiber in der Hand starrte er aus dem Fenster. Er fühlte sich sonderbar bedrückt. Gerade war er noch glänzender Stimmung gewesen, jetzt war er nervös und unsicher. Doch es gelang ihm schnell, seiner Verstimmung Herr zu werden; er nahm einen Briefbogen zur Hand und begann zu schreiben. Nach einer Weile lehnte er sich zurück und überlegte.
    Ja, es war ganz plausibel, durchaus nicht unmöglich… Und doch war er nicht recht zufrieden… War er auf der richtigen Spur? Er wusste es nicht. Das Motiv? Leider, leider fehlte das Motiv für die Tat völlig. Sollte er irgendetwas übersehen haben?
    Er seufzte ungeduldig. Er konnte Tinas Ankunft kaum erwarten. Wenn es ihm doch nur gelänge, diese Sache aufzuklären – nur innerhalb der Familie –, mehr wollte er gar nicht. Wenn ihnen die Wahrheit erst einmal bekannt wäre, würde die erstickende Atmosphäre mit einem Schlage wie weggewischt sein. Alle würden befreit aufatmen, alle mit Ausnahme von einem. Er und Mary würden in ihr eigenes Heim zurückkehren und…
    Er hielt in seinen Überlegungen inne. Plötzlich war ihm klargeworden, dass er gar nicht nach Hause wollte. Er dachte an die bunten Chintz-Vorhänge, an das glänzend geputzte Silber, den geordneten Haushalt, an den ganzen goldenen Käfig, in dem er der übergroßen Liebe und Fürsorge seiner Frau ausgeliefert war. Seine Frau…
    Wenn er an Mary dachte, schien er zwei verschiedene Wesen zu sehen: Das blonde, blauäugige, ruhige und sanfte Mädchen, das er geheiratet hatte, seine »eigentliche«, geliebte Polly, und eine andere Mary, eine stahlharte Frau, die zwar leidenschaftlich war, der es jedoch an Wärme und Zärtlichkeit fehlte, die nur an sich dachte. Selbst er spielte nur deshalb eine Rolle, weil er ihr gehörte.
    Und diese Mary liebte er nicht. Hinter den kalten blauen Augen dieser Frau verbarg sich eine Fremde.
    Plötzlich begann er zu lachen. Auch er war, wie alle anderen, im Begriff, die Nerven zu verlieren. Er entsann sich einer Unterhaltung, die er einmal mit seiner Schwiegermutter über Mary hatte. Sie erzählte ihm von dem süßen, kleinen blonden Mädchen, das Mrs Jackson plötzlich in New York umarmt und gesagt hatte: »Ich will immer bei dir bleiben, ich will dich nie verlassen!«
    Damals war Mary noch zärtlich und warmherzig. War es möglich, dass ein Mensch sich so verändern konnte? Oder sollte dieser Ausdruck von Zärtlichkeit schon damals berechnend gewesen sein? War Mary schon als Kind imstande gewesen, durch Vortäuschung von Gefühlen ihr Ziel zu erreichen?
    Er warf seinen Kugelschreiber ärgerlich auf den Schreibtisch und fuhr seinen Rollstuhl vom Wohnzimmer ins benachbarte Schlafzimmer. Beim Frisiertisch machte er Halt, nahm eine Bürste und begann, sich das Haar aus der Stirn zu bürsten.
    Sein eigenes Spiegelbild erschien ihm fremd.
    Ein Geräusch im Nebenzimmer riss ihn aus seinen Träumereien. Er wandte sich zur Verbindungstür.
    Gwenda Smith stand am Schreibtisch. Im Schein der Morgensonne sah sie hager und erschöpft aus.
    »Guten Morgen, Gwenda.«
    »Guten Morgen, Philip. Leo bat mich, Ihnen die neueste Illustrierte zu bringen.«
    »Vielen Dank.«
    Gwenda blickte sich im Zimmer um. »Ein hübsches Zimmer! Ich glaube, ich bin noch nie hier gewesen.«
    »Geradezu fürstlich, nicht wahr? Ideal für Kranke und Hochzeitsreisende.«
    Einen Augenblick später wünschte er, das letzte Wort nicht ausgesprochen zu haben.
    Gwendas Gesicht zuckte.
    »Ich muss wieder gehen, ich hab noch viel zu erledigen«, sagte sie.
    »Die perfekte Sekretärin!«
    »Leider nicht einmal mehr das, ich mache dauernd Fehler.«
    »Tun wir das nicht alle?« Dann fragte er: »Wann werden Sie Leo heiraten?«
    »Wahrscheinlich nie«, sagte sie traurig.
    »Das wäre ein großer Fehler«, meinte Philip. »Man muss schließlich manchmal ein Risiko eingehen.«
    »Ich hätte nichts dagegen, mein Glück in die Waagschale zu legen, aber Leo…«
    »Ja? Leo?«
    »Leo wird wahrscheinlich als Rachel Jacksons Gatte sterben«, erklärte sie bitter. »Es ist fast, als wäre sie am Leben, als hätte sie dieses Haus nie

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