Tödlicher Kick

Sandsäcke, um ihr Ziel zu erreichen. Hier gab es das Notwendigste, rund um die Uhr, für neunzehn Euro fünfundneunzig im Monat.
    Dietmar Wöhler stand breitbeinig auf dem federnden Kunststoffboden, den Rücken stramm durchgedrückt, und erteilte Kommandos. Im Gegensatz zu dem Fantrikot, das der Fanclubchef bei unserer letzten Begegnung getragen hatte, war sein Achselshirt heute nicht dazu geeignet, seine Muskulatur zu verstecken.
    An der Vorderseite seines Oberarmes konnte ich die beiden Stränge seines Bizeps’ klar voneinander getrennt erkennen und am Rücken zeichnete sich die Muskulatur v-förmig ab. Er erinnerte an einen dieser überzüchteten, französischen Bullen, die unter ihren eigenen Fleischmassen zusammenbrachen.
    Vor Wöhler – zwischen zwei Hantelständern – trainierte ein Jugendlicher, der sich ebenfalls auf den Weg zum Zuchtbullen machte. Der Junge schien südländischer Herkunft zu sein, Türke oder Grieche vielleicht. Sein langes Kinn hatte den Rest seines Gesichts im Wachstum überholt. Das lackschwarze Haar trug er zum Pferdeschwanz zusammengebunden.
    Auf den Schultern balancierte der junge Bodybuilder eine überdimensionale Langhantel. Mit Sicherheit stemmte er gerade mehr Gewicht, als Danner unter unserem Küchentisch lagerte.
    Verbissen, allerdings erfolglos versuchte der Junge, sich samt Hantel aus einer Kniebeuge hochzudrücken. In absehbarer Zeit drohten die Metallmassen ihn zu zerquetschen.
    Wöhler stand so dicht hinter seinem Schützling, dass seine Brust fast dessen Rücken berührte. Im allerletzten Moment tippte er mit den Fingerspitzen unter die Hantelstange und half, die Hantel zurück auf den bereitstehenden Ständer klirren zu lassen. Keuchend ließ sich der Junge auf die Matte kippen.
    »Eine Minute Pause«, kommandierte Wöhler.
    »Diet.« Danner streckte dem Trainer die Hand hin. »Wir waren auf der Suche nach dir.«
    »Offensichtlich habt ihr mich aufgetrieben.« Wöhler schüttelte Danner die Hand und legte mir einen wulstigen Arm um die Schultern. »Keine Angst, ich will dem Serkan nicht ans Leder, Lila. Das ist ein Hypertrophietraining, da macht man was falsch, wenn man nicht schwitzt. Nix im Ei ohne Quälerei. Morgen hat der Beine wie Baumstämme.«
    Ich betrachtete den am Boden liegenden Jungen.
    »Dreißig Sekunden«, warnte ihn Wöhler. »Habt ihr schon was Neues gehört? Ich meine, wegen der Sache mit Oran?«
    »Ja«, nickte Danner. »Du hast Oran immer noch trainiert, hab ich mir sagen lassen.«
    »Damit ihm seine Muckis nicht abhandenkamen. Gerade in jungen Jahren muss ein Profi aufgebaut werden. Außerdem minimiert ein gutes Muskelkorsett natürlich die Verletzungsgefahr.«
    »Oran hat mit dir nach Feierabend noch so ein Hypertrophietraining gemacht?« Ich deutete auf den schwer atmenden Serkan, der lang ausgestreckt liegen blieb.
    »Nee, der will – wollte ja keine Bodybuildingmeisterschaft gewinnen.« Sein Versprecher ließ Wöhler zusammenzucken, doch er sammelte sich rasch. »Wir haben die Sprungkraft gesteigert, den Antritt verbessert und so weiter. Viel mit dem eigenen Körpergewicht und freien Gewichten gearbeitet und die Gelenke stabilisiert.« Er wandte sich an Serkan: »Deine Pause ist rum.«
    Serkan kam wider Erwarten auf die Beine. Seine Arme standen jetzt wie die Henkel eines Kochtopfes von seinem Körper ab. Sein Kopf wirkte plötzlich kleiner, er ähnelte diesen Spielzeugrobotern, die man mit ein paar Klicks zum Auto umbauen konnte.
    Mit verzerrtem Gesicht stemmte Serkan sich erneut unter die Langhantel. Sofort rann ihm der Schweiß über sein Gesicht, als hätte ihm jemand einen nassen Schwamm auf den Kopf gedrückt.
    »Schön langsam, drei, zwei, eins …«, begann Wöhler erneut zu zählen.
    »Der Oran hat das durchgezogen«, redete er weiter, als Serkan seinen Rhythmus gefunden hatte. »Einen Tag Oberkörper, einen Tag Beine, immer im Wechsel. Der konnte so was von stur sein, was Serkan? Sogar das Fasten hat er sausen lassen.«
    Serkan blinzelte. Im nächsten Moment geriet er unter der Langhantel ins Taumeln. Danner streckte die Hände reflexartig nach der Stange aus.
    Doch Wöhler brachte seinen Schützling mit einem leichten Schubs wieder ins Gleichgewicht. »Wenn Oran etwas unbedingt wollte, konnte der sich richtig quälen. Talent haben viele, letztendlich gewinnt, wer am konsequentesten trainiert. Aber die meisten lassen sich doch ablenken. Von Autos, Alkohol oder Frauen. Deshalb bin ich überzeugt, Oran hätte über kurz oder