Tödlicher Kick
lang …«
Wöhler verstummte. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
Zeitgleich verlor Serkan endgültig die Kontrolle, diesmal musste Danner wirklich das Ende der Hantelstange packen und den daran hängenden Jungen wieder aufrichten.
Wöhlers Blick blieb an Danners Unterarmen kleben. »Oran hätte es ganz nach oben schaffen können.«
Serkan schwächelte, doch Wöhler machte keine Anstalten, ihm zu Hilfe zu kommen.
»Den Willen, das ganze Leben hintanzustellen und wie eine Maschine zu trainieren, haben die wenigsten«, referierte er ungerührt weiter.
Als Serkan in die Knie ging, sprang Danner hinter ihn und nahm ihm die Hantel von den Schultern.
»Hölle!«, fluchte er. Er konnte nicht verhindern, dass das Gewicht in Richtung Boden sank.
Wöhler wirkte recht zufrieden, als er Danner die Hantel aus der Hand nahm und in die Halterung wuchtete.
Was ging hier eigentlich vor? Eine neue Variante der Rangordnungsbildung unter männlichen Primaten? Willkommen im Neandertal.
Serkan, der sich mühsam hochrappelte, hatte offensichtlich genug. Er nutzte die Gelegenheit, um sich zu verabschieden: »Sorry, Diet. Ich mach Schluss für heute. Bin nicht gut drauf.«
»Nicht gut drauf?«
Ein ärgerliches Grollen mischte sich in Wöhlers Stimme.
»Nee.« Serkan ließ den Trainer stehen.
»Was heißt, du bist nicht gut drauf?«, brüllte der ihm hinterher. »Glaubst du, ein Schwarzenegger hat auch ständig seine Tage?«
Serkan drehte sich nicht mehr um.
»Wollte Oran eigentlich zu Schalke wechseln, Diet?«, nahm ich unser Gespräch wieder auf.
Doch Serkan hatte Wöhler die Laune verdorben. »Schwachsinn«, schnauzte er mich an. »Oran hätte uns nie verraten.«
Verraten? Hörte ich da etwas zu viel Fußballfanatismus?
»Aber den Elfmeter hat er versiebt«, bohrte ich weiter. »Vielleicht doch, weil er mit Schalke in der Ersten Bundeliga spielen wollte?«
»Pah, versiebt! Der war so gut wie drin! Ohne die neumodische Technik hätte der Linienrichter den gezählt! Ohne diesen Peilsender im Ball wäre das Spiel doch ganz anders ausgegangen!« Wöhler sah aus, als stünde er kurz vor einer Explosion.
Ich überlegte, ob er seine immense Kraft wirklich in jeder Situation unter Kontrolle hatte.
Als hätte er meine Gedanken gelesen, atmete Wöhler zischend aus, es klang, als würde man die Luft aus einem Ballon lassen.
Sein Gesicht erhellte sich, als hätte man im Schädelinnern eine Kerze angezündet. Mit einem Finger klickte er die Verriegelung am Langhantelständer über die Stange, sodass das gewaltige Gewicht nicht versehentlich aus der Halterung zu Boden donnern konnte.
»Entschuldigt mich, Leute. Ich muss«, sagte er nur und – schwupp – weg war er.
28.
»Haben Sie mal über ein Hörgerät nachgedacht?«
Der scharfe Unterton in Danners Stimme war jedenfalls auch ohne technische Hilfsmittel vernehmbar. Außerdem hatte er seine Hände nicht gerade lautlos auf dem massiven Kirschholztisch platziert und sich nach vorn gebeugt.
»Eben gerade habe ich Ihnen erklärt, dass das Sozialamt seit Jahren bei jedem Cent, der über den Selbstbehalt hinausgeht, die Hand aufhält.«
Der große, mollige Mann in Schwarz registrierte, dass sich der Abstand zwischen ihm und Danner verkleinert hatte. Er rückte sicherheitshalber samt Stuhl ein Stück zurück in Richtung des Kirschholzregals, das die Wand in seinem Rücken füllte.
In den Regalfächern glänzten Gefäße in allen Farben und Formen. Ich sah eine antik wirkende Suppenschüssel aus Porzellan. Daneben eine aquamarinblaue Vase, in der sich ein paar weiße Rosen gut gemacht hätten. Etwas höher stand ein schillernder Kubus, der in ein Museum für abstrakte Kunst gepasst hätte. Auf ein anderes Gefäß war ein bekanntes Werk von Picasso gedruckt. Und ganz oben links entdeckte ich einen Fußball. Aus Keramik. Mit Deckel. Und VfL -Emblem.
Urnen.
Ich konnte mich tatsächlich in einem Fußball beerdigen lassen. Vorausgesetzt, irgendjemand war bereit, neunhundertzwanzig Euro dafür springen zu lassen.
Bedächtig faltete der Bestatter die Hände vor dem Wohlstandsbauch, den er zu einem nicht unwesentlichen Teil vermutlich den Neunhundertzwanzig-Euro- VfL -Urnen verdankte. »Haben Sie denn keine eiserne Reserve?«
»Von meiner eisernen Reserve bezahle ich gewöhnlich die Miete«, knurrte Danner. »Nein, ich habe keine fünftausend Euro im Sparstrumpf und auch kein dickes Schweizer Konto.«
»In solchen Fällen tritt meist das Sozialamt in
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