Tödlicher Kick
werden, vor dessen Tür niemand wartete.
Curly hielt ihre Kapuze fest und lief auf mich zu. Sie rannte mit den eckigen, unkoordinierten Bewegungen eines zu schnell gewachsenen Teenagers und ich war plötzlich nicht mehr in der Lage, sie mir in High Heels und Plüschbademantel vorzustellen.
»Wo bringen Sie mich hin?«, erkundigte Curly sich, nachdem sie sich auf den Notsitz unseres Zweisitzers gezwängt hatte.
»Nach Hause?«, schlug ich vor.
»Was meinen Sie, warum ich mich nicht von meiner Mutter abholen lassen habe?«, brauste Curly auf.
»Zumindest Ihr Stiefvater scheint sich sehr wohl Sorgen um Sie gemacht zu haben«, bemerkte Danner.
»Mein Stiefvater ist ein Idiot, der labert sich noch lebenslang hinter Gitter! Wie bescheuert, dass die glauben, er hätte Oran umgebracht. Der kann keiner Fliege was zuleide tun.«
»Bei seinem Zusammentreffen mit Simon Goldstein hat man von seiner Tierliebe nicht viel bemerkt«, gab Danner zu bedenken.
Curly presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.
»Könnte der Gedanke, dass diese Männer seine Tochter gekauft haben, bei Ihrem Vater nicht ein paar Sicherungen durchbrennen lassen?«, wollte Danner es genau wissen. » Mir würden ein paar Sicherungen durchbrennen.«
Curly schüttelte den Kopf: »Mein Vater besitzt gar keine Waffe.«
»Er hat gestanden, Ihren Freier Mongabadhi getötet zu haben, und ist erwischt worden, als er sich kurz darauf Simon Goldstein vorgenommen hat, weil dieser ebenfalls zu Ihren Kunden zählte«, erinnerte ich. »Als Nächstes wäre vielleicht Ihr Zuhälter Stani drangewesen.«
Curly zuckte zusammen, als ich Stanis Namen erwähnte.
»Hat Paps Goldstein etwa mit einer Knarre bedroht?«, erkundigte sich das Mädchen nach ein paar Sekunden skeptisch.
Okay, das war der klitzekleine Haken an der Geschichte. Eine Waffe hatte Ralfi Schmidtmüller beim Überfall auf dem Sportplatz nicht dabeigehabt.
»Siehste!«, triumphierte Curly. »Der erschießt niemanden. Der hatte nur ein schlechtes Gewissen, weil er mich rausgeschmissen hat, als ich die Schule verkackt habe. Und weil plötzlich die Nachbarn in der Zeitung lesen konnten, was los ist. Jetzt will er wiedergutmachen, dass ich ihm eigentlich am Arsch vorbeigehe.«
»Dann würde er nicht Amok laufen«, widersprach Danner.
Darüber musste Curly nachdenken.
»Wie haben Sie denn meinen … meinen Vermieter kennengelernt?«, fragte sie dann kleinlaut. »Hat Stani etwa nach mir gesucht?«
Danner trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad. »Ich hätte lieber durch Sie von Stanis Tätigkeit erfahren«, bemerkte er.
»Jetzt führt Ihr Vermieter jedenfalls gerade lange Gespräche mit der Polizei«, informierte ich Curly.
Das Mädchen atmete zischend ein.
Danner parkte auf dem Bordstein vor einem zweistöckigen Mehrfamilienhaus in Bochum-Wiemelhausen.
»Mo! Oh, mein Gott, Mo!«
Moesha Schmidtmüllers Mutter Elvira war eine füllige Frau mit kurzem, blondiertem Haar und extravagantem Augen-Make-up. Ihre Nase erschien mir unnatürlich klein und ihr Mund blieb immer leicht geöffnet. Ihr Gesicht erinnerte an eine Perserkatze, deren Riechorgan so winzig gezüchtet worden war, dass es zum Atmen nicht mehr taugte und die deshalb das Maul geöffnet hielt, um Luft zu bekommen. Ich fragte mich, ob ein experimentierfreudiger Chirurg versucht hatte, Elvira Schmidtmüllers Gesicht dem Perserkatzenideal anzugleichen.
Die Frau drückte Curly an ihren wogenden Busen. Na ja, um genau zu sein, drückte sie Curlys Bauch an ihre Brust, denn das Mädchen war einen Kopf größer als sie.
Tatsächlich legte Curly ihre Arme um Elvira Schmidtmüllers runde Schultern: »Es tut mir so leid, dass ich Paps da mit reingezogen habe.«
Das hochgewachsene dürre Mädchen mit der Afromähne, den teuren Jeans und dem Kapuzensweater ähnelte seiner Mutter ungefähr so sehr wie eine Giraffe einem Rhinozeros. Curlys leiblicher Vater musste groß, dünn und dunkelhäutig gewesen sein, so viel war klar.
»Mo! Du bist wieder da!« Ein vielleicht elfjähriges, dickliches Mädchen mit einem rosa Haarreifen in den langen blonden Haaren kam den Flur entlanggesaust. Sie umarmte Curly und presste ihr Ohr auf Bauchhöhe an sie.
Ich korrigierte meine erste Einschätzung: Curly war die einzige Giraffe in einer ganzen Rhinoherde.
Der Anblick der Mutter mit ihren beiden Töchtern fesselte meine Aufmerksamkeit. Das Gefühl, das Alien der Familie zu sein, war mir ja prinzipiell nicht unbekannt. Aber mich hatte es immer einige
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