Tödlicher Mittsommer
Stressgenerator. Danke der Nachfrage.
Plötzlich bat Rutger Sandelin sie, ihr Verhältnis zu ihrem jetzigen Chef zu beschreiben. Nora zuckte innerlich zusammen.
Was sollte sie sagen?
Dass Ragnar Wallsten ein verzogener Flegel war, den man weit über seine Fähigkeiten hinaus befördert hatte? Dass seine scharfe Zunge dafür sorgte, dass ihm kaum jemand zu widersprechen wagte und nur wenige mit ihm auskamen? Dass sie kurz nach Antritt ihrer Stelle miterlebt hatte, wie er eine ältere Kollegin immer wieder schikanierte, bis diese ihren Job entnervt aufgab?
Sekundenlang versuchte sie verzweifelt, sich zu entscheiden, auf welchem Bein sie stehen wollte.
»Wir haben eigentlich ein ganz gutes Verhältnis, so wie die meisten anderen Kollegen auch«, sagte sie vorsichtig. Ihre Stimme wurde immer leiser, während sie fieberhaft nach einer neutralen Formulierung suchte. »Er ist kein Chef, der sich dauernd in alles einmischt. Wir können unsere Arbeit eigenverantwortlich erledigen.«
Das Letzte klang idiotisch, sie bereute ihre Worte im selben Moment, als sie sie aussprach.
»Er hat ja auch viel zu tun, natürlich, bei all den wichtigen Fragen, die die Bank betreffen«, fügte sie lahm hinzu.
Rutger Sandelin schien zu merken, wie sie herumlavierte, und lächelte sie beruhigend an. Er beugte sich vor und sah ihr direkt in die Augen.
»Ich will ganz offen zu Ihnen sein. Die Meinungen über Ragnar Wallsten und seine Kompetenz, die Rechtsabteilung zu leiten, sind durchaus geteilt.«
Nora biss sich auf die Lippe. Das schien ja beinahe zu schön, um wahr zu sein. Sie hatte es so verdammt satt, mit ihm zusammenzuarbeiten.
Nachdem sie sich ungefähr eine Stunde lang unterhalten hatten, fragte Rutger Sandelin plötzlich, was ihr Mann beruflich mache und ob er mit seiner Arbeit zufrieden sei.
»Er ist Radiologe im Krankenhaus Danderyd. Es gefällt ihm gut dort«, erwiderte Nora.
»Was würde er davon halten, nach Malmö zu ziehen?«
»Wir haben noch nicht näher darüber gesprochen, aber es wäre sicher kein Problem für ihn, eine Stellung an einem Krankenhaus in der Gegend zu bekommen.«
Rutger Sandelin lehnte sich zurück und legte die Handflächen aneinander. Das ließ ihn aussehen wie einen alten Magister aus vergangenen Zeiten.
»Es ist wichtig, dass man sich bei einer solchen Sache einig ist. Wenn die ganze Familie umzieht, bedeutet das eine große Umstellung. Das setzt voraus, dass alle am selben Strang ziehen und ihr Bestes tun, um sich in der neuen Umgebung einzuleben.«
Er blickte sie eindringlich an.
»Glauben Sie, dass Ihr Mann zu einer solchen Umstellung bereit wäre?«
Nora schluckte.
Was Sandelin über den neuen Job erzählt hatte, klang alles ganz fantastisch. Interessante Aufgaben, gute Arbeitsbedingungen und ein echter Aufstieg. Die Bank würde den Umzug bezahlen und bei der Wohnungssuche behilflich sein. Außerdem sprudelte die Öresundregion vor Leben. Die neue Brücke nach Dänemark hatte ganz Südschweden einen enormen Aufschwung gebracht. Plötzlich öffnete sich der »Kontinent« – ein paar Stunden Autofahrt, und man war in Europa. Die Jungs würden begeistert sein, so nah am Legoland zu wohnen. Was für eine verlockende Vorstellung, einfach kurz mal mit dem Auto nach Kopenhagen zu fahren und Händchen haltend über den Ströget zu bummeln.
»Wir müssen uns natürlich noch darüber unterhalten, aber Henrikfände es sicher spannend für die ganze Familie, an einen anderen Ort zu ziehen und etwas Neues zu sehen.«
Nora kreuzte hinter dem Rücken heimlich die Finger, obwohl das natürlich kindisch war.
Rutger Sandelin lächelte sie erfreut an und kam zum Ende.
»Sie haben einen ausgezeichneten Ruf innerhalb der Bank, liebe Nora. Magnus Westling, der neue Chef der Region Süd, hat viel Gutes von Ihnen gehört und glaubt, dass Sie für den Posten bestens geeignet sind. Überlegen Sie es sich ruhig ein paar Tage und melden Sie sich dann. Wenn Sie wollen, können Sie sich vorher auch noch mit Magnus Westling treffen. Ich schreibe inzwischen einen Bericht für die Personalabteilung.«
Nachdem sie sich von Rutger Sandelin verabschiedet hatte, war Nora euphorisch und bedrückt zugleich. Wie konnte sie Henrik dazu bewegen, nach Malmö zu ziehen? Sie wollte den neuen Job schrecklich gerne haben.
Sie steuerte ein Café an und bestellte sich einen Caffè Latte. Wenn Henrik ein solches Angebot bekäme, würde es überhaupt keine Diskussion darüber geben. Dann würden er und alle anderen ganz
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