Tödlicher Mittsommer
feststellen konnten. Seine einzige noch lebende Verwandte ist eine Cousine, mit der er an und für sich in engem Kontakt stand. Aber ein ziemlich trauriges Menschenschicksal, wenn man so sagen darf.«
Im selben Moment, als er die Worte aussprach, bereute er sie auch schon. Die Parallele zu seinem eigenen Leben lag allzu deutlich auf der Hand.
Keine Familie, keine Kinder, er ging auf die vierzig zu und lebte allein in einer Zweizimmerwohnung, genau wie es der Tote getan hatte.
Wer war er, dass er Krister Berggrens Leben traurig nannte?
»Wieso glaubst du, dass es ein Unfall war?«, hakte Henrik nach, während er die Schüssel mit der Vanillesauce herumreichte.
Die Frage holte Thomas in die Realität zurück. Er riss sich mit einiger Anstrengung zusammen.
»Es gibt nichts, was auf etwas anderes hindeutet. Er ist ertrunken. Das einzig Merkwürdige ist, dass er eine Schlinge um den Leib hatte. Aber dass muss ja an und für sich nichts heißen. Es gibt nicht immer für alles eine Erklärung.«
»Eine Schlinge?«
Henrik sah Thomas fragend an.
»Ja, ein Tau, das um seinen Brustkorb geknotet war. Es sah aus wie ein normales Seil. Wir haben noch nicht herausgefunden, woher es stammte, es war aus keinem ungewöhnlichen Material.«
»Hatte er einen Grund, sich das Leben zu nehmen?«, fragte Henrik.
Thomas schüttelte den Kopf.
»Das glaube ich nicht. Wir haben keinen Abschiedsbrief gefunden. Aber mit Bestimmtheit lässt sich das kaum sagen.«
»Wisst ihr schon mehr über das Fischernetz?«, erkundigte sich Nora.
»Nein. Keine Ahnung. An einer Ecke hing ein Netzholz mit einer Kennung. Aber das heißt nicht viel, um ehrlich zu sein. Außerdem hat sich der Körper vermutlich in dem Netz verfangen, als der Tod bereits eingetreten war. Es gibt viele, die ihre Netze im Schärengarten auswerfen, das ist also nichts Merkwürdiges.«
Henrik beugte sich interessiert vor und hatte kaum fertig gekaut, als er die nächste Frage stellte.
»Und was stand auf dem Netzholz?«
»Nur zwei Buchstaben. G A. Schwierig, daraus auf den Besitzer zu schließen.«
Nora versuchte nachzudenken.
»Kennen wir jemanden auf der Insel mit diesen Initialen?«
Thomas zuckte die Schultern.
»Ich weiß nicht, ob das eine so große Rolle spielt. Das Netz kann ja jedem beliebigen Fischer in diesem Teil des Schärengartens gehören. Das meiste deutet sowieso darauf hin, dass es ein Unglücksfall war.«
»Was bedeutet das?«, fragte Nora.
»Der Fall wird zu den Akten gelegt. Es gibt keinen Anhaltspunkt für ein Verbrechen, also schließen wir die Ermittlungen ab.«
»Machst du auch irgendwann mal Urlaub?«, schaltete sich seineTischnachbarin ein, während sie ihm den letzten Rest Wein ins Glas goss.
Thomas nickte ihr zu.
»Sehr bald, zum Glück. Ich muss nur noch diesen Fall abschließen. Nächste Woche geht es dann auf direktem Weg zurück nach Harö.«
»Sind deine Eltern dort?«, fragte Nora.
»Natürlich. Schon seit Walpurgis. Ich glaube, seit sie Rentner sind, verbringen sie mehr Zeit auf Harö als in der Stadt.«
Bei dem Gedanken an seine Eltern hellte sich Thomas’ Gesicht auf.
»Sie sitzen mir die ganze Zeit im Nacken, dass ich früher Urlaub machen soll, aber mir gefällt es, erst rauszufahren, wenn die Hochsaison zu Ende geht. Ich komme, wenn ich komme.«
Er erhob sein Glas mit einer anerkennenden Geste zu Nora.
»Danke für das fantastische Essen.«
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Kapitel 16
Samstag, zweite Woche
Kapitel 16
Ein richtig gelungener Abend, dachte Nora, während sie das Frühstückstablett vorbereitete. Die Gäste waren bester Laune gewesen. Alle schienen sich wohlzufühlen, und sie hatten sogar bis Mitternacht draußen gesessen, ohne zu frieren.
Heute war Samstag und damit endlich ein freier Tag ohne Schwimmschule. Sie hatten sogar ausschlafen können, was immer das hieß mit einem morgenmunteren Sechsjährigen in der Familie.
»Kommt, Jungs«, rief sie Adam und Simon zu, die im Garten spielten. »Wir überraschen Papa mit einem zweiten Frühstück am Steg.«
Henrik war hinuntergegangen, um das Fischernetz in Ordnung zu bringen, eine Arbeit, die geraume Zeit dauern konnte. Da kam eine Kaffeepause sicher gerade recht.
Sie und die Jungs hatten fast fünfzehn Minuten angestanden, um Brötchen zu kaufen. Es schien, als hätte halb Stockholm beschlossen, in die Schären zu fahren, um den schönen Sommertag auszunutzen.
Andererseits war es kein großes Opfer, einen kleinen Schwatz in der Schlange vor der pittoresken Bäckerei zu
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