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Tödlicher Mittsommer

Tödlicher Mittsommer

Titel: Tödlicher Mittsommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viveca Sten
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Linde zu einem netten Abendessen einfinden sollte.
    Er war kurz vor sechs auf Harö angekommen. In einer Stunde sollte er auf Sandhamn sein. Davor musste er noch duschen und sich rasieren.
    Thomas’ Haus lag an der Küste im Norden von Harö. Seine Eltern hatten das Fleckchen Erde schon in den Fünfzigerjahren gekauft, lange bevor es so ungemein populär wurde, ein Sommerhäuschen im Schärengarten zu besitzen. Vor ein paar Jahren hatten sie zwei Grundstücke für ihre Söhne abgeteilt.
    Auf Thomas’ Grundstück hatte eine alte Hütte gestanden. Sie war zwar ziemlich verfallen, aber sie lag sehr schön, direkt unten am Wasser neben einer riesigen Hängebirke.
    Pernilla und Thomas hatten sich der Hütte angenommen und viel Zeit darauf verwendet, sie zu einem richtigen Sommerhaus auszubauen.
    Ein Haus, das zu einer Familie mit Kindern passte.
    Am Ende war aus der alten Bruchbude ein herrliches Ferienhaus mit großen Fenstern und offenen Räumen geworden. Um die Deckenhöhe auszunutzen, hatten sie einen geräumigen Schlafboden eingezogen. Von der Haustür führte ein schmaler Kiesweg hinunter zum Bootssteg. Den hatten sie etwas verbreitert und damit Platz für Gartenmöbel geschaffen, sodass man an den Sommerabenden dort sitzen konnte.
    Das Haus hatte jede freie Minute und ihr gesamtes Geld verschlungen, aber das Ergebnis war genauso geworden, wie sie es sich erhofft hatten.
    Und dann kam die Scheidung.
    Sie hatten es kaum geschafft, einen Sommer dort zu verbringen, bevor sie sich trennten.
    Da das Grundstück mit dem Sommerhaus ein Vorgriff auf sein Erbteil war, gestaltete sich die Aufteilung einfach. Pernilla bekam die Wohnung in der Stadt, und er behielt Harö. Das war gut und schön und völlig logisch.
    Und herzzerreißend.
    Nach der Scheidung hatte er eine Zweizimmerwohnung in Gustavsberg gefunden. Sie war funktionell und praktisch, bis zur Arbeit brauchte er kaum zwanzig Minuten, aber sie war kein Heim. Zu Hause fühlte er sich mittlerweile nur auf Harö. Wenn überhaupt.
    Thomas nahm Rasierer und Rasiercreme aus dem Badezimmerschrank und ließ warmes Wasser einlaufen.
    Wenn er ehrlich sein sollte, hatte er nicht die geringste Lust, ins Boot zu steigen und nach Sandhamn hinüberzufahren. Aber Nora hatte ihn schon vor mehreren Wochen eingeladen. Er wollte sie nicht enttäuschen und absagen. Schon gar nicht so kurzfristig.
    »Na los, Thomas«, hatte sie gesagt. »Es wird dir guttun, mal wieder was zu unternehmen. Du kannst nicht immer nur arbeiten oder auf Harö herumhängen. Du musst langsam wieder unter die Leu-te.«
    Natürlich hatte sie recht. Aber es war so schwer.
    Er ließ sich auf den Klodeckel sinken, den Rasierer in der Hand. Manchmal konnte er sich kaum überwinden, auch nur einen Schritt vor die Tür zu gehen.
    Die letzten fünfzehn Monate waren die schwersten seines Lebens gewesen, eine solche Zeit würde er nicht mal seinem ärgsten Feind wünschen. Nächte voller Albträume von Emily und seiner eigenen Unfähigkeit, ihr Leben zu retten. Tage, an denen er es kaum fertigbrachte, zum Dienst zu gehen, weil er fürchtete, vor den Augen der Kollegen zusammenzubrechen. Der gradweise Zerfall seiner Ehe, gegen den er nichts tun konnte.
    Seit der Scheidung vor gut einem halben Jahr hatte er alle sozialen Anlässe gemieden. Er hatte kein Bedürfnis nach der Gesellschaft anderer gehabt. Nur ein großes Verlangen danach, allein zu sein und in Ruhe gelassen zu werden.
    Fast seine gesamte wache Zeit hatte er mit Arbeit verbracht. Er wusste schon nicht mehr, wie oft er bis spät in die Nacht auf der Wache geblieben war. Die dunklen Korridore hatten so etwas Friedliches, wenn sie von ihrem menschlichen Inhalt geleert waren. DieEinsamkeit sagte ihm zu. Er harrte gerne an seinem Schreibtisch aus. In der Stille.
    Der Dienst war seine Rettungsleine gewesen.
    Wenn seine Kollegen nicht gewesen wären, wer weiß, ob er es dann geschafft hätte. Es hatte ihn Überwindung gekostet, jeden Morgen aufzustehen. Trotzdem hatte er sich so viel Arbeit aufgeladen, wie er irgend konnte. Hatte sich freiwillig für alles Mögliche gemeldet. Stunde für Stunde mit irgendwelchen Dingen zugebracht, um die er sich überhaupt nicht zu kümmern brauchte.
    Als ob jeder neue Fall, den er löste, ihm half, sein Dasein Stück für Stück neu aufzubauen.
    Ganz langsam hatte es angefangen, weniger wehzutun. Stattdessen kam eine große Müdigkeit. Sie überwältigte ihn. Eine Müdigkeit, von der Thomas nicht wusste, was er dagegen tun sollte.

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