Tödlicher Mittsommer
Mann auf dem Foto in der Zeitung.«
»Können Sie ihn beschreiben?«
Die Frau überlegte einen Moment. Mechanisch wischte sie einen Spritzer Karottenbrei vom Tisch, ehe sie antwortete.
»Er sah ungepflegt aus. Ziemlich heruntergekommen. Er hatte einen Kapuzenpullover an, und die Kapuze hatte er sich über den Kopf gezogen, deshalb habe ich sein Gesicht nicht so genau gesehen. Aber gestunken hat er, und wie.«
Sie verzog angeekelt das Gesicht und sah plötzlich verlegen aus.
»Entschuldigung. Ich will nicht schlecht über einen Toten reden. Aber er roch wirklich widerlich, nach altem Fusel oder so. Das war der Grund, warum meine ältere Tochter, sie ist vier, mich nach ihm gefragt hat.«
»Hat er sich während dieser Überfahrt auffällig benommen?«
»Nicht dass ich wüsste. Aber ich habe auch nicht darauf geachtet.«
Sie lächelte matt und zeigte auf das kleine Mädchen, das sich inzwischen beruhigt hatte und nun eine Schnabeltasse in der Hand hielt.
»In dem Alter halten sie einen ganz schön auf Trab.«
»Ist Ihnen sonst noch etwas an ihm aufgefallen?«
»Tut mir leid, aber viel mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Er saß während der ganzen Überfahrt auf seinem Platz, wenn ich mich nicht irre. Es dauert ungefähr zwei Stunden bis in die Stadt.«
»Er ist also bis Stockholm mitgefahren? Nicht unterwegs ausgestiegen?«
»Nein, wir waren unter den letzten, die von Bord gegangen sind. Es hat ziemlich gedauert, bis wir unsere Sachen zusammengepackt hatten. Er hat das Schiff ungefähr gleichzeitig mit uns verlassen, daran erinnere ich mich genau.«
Sie betrachtete liebevoll ihre Tochter, die jetzt konzentriert damit beschäftigt war, die Schnabeltasse zu öffnen und den Inhalt auf den Tisch zu kippen.
Thomas überlegte einen Augenblick. Wenn Jonny Almhult sich die Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte, war es vielleicht kein Wunder, dass niemand sich an ihn erinnern konnte. Obwohl sie den Besatzungen der verschiedenen Fähren, die Sandhamn anliefen, die Fotos gezeigt und sie dazu befragt hatten.
Er bückte sich und hob die Schnabeltasse auf, die die Kleine auf den Fußboden geworfen hatte. Sie nahm die Tasse und schmiss sie begeistert wieder hinunter.
Ein lustiges neues Spiel.
»Und danach haben Sie ihn nicht mehr gesehen?«
»Nein, ich glaube nicht.« Sie zögerte. »Oder doch? Ich bin mir nicht sicher. Möglicherweise habe ich ihn noch mal auf der Skeppsbron gesehen. Mein Mann hat uns vom Schiff abgeholt, und als wir vor dem Grand Hôtel an der roten Ampel standen, kam es mir so vor, als sähe ich ihn Richtung Landungsbrücken gehen.«
Sie sammelte die Schnabeltasse auf, die ihre Tochter zum fünften Mal weggeworfen hatte.
»Aber es ist ja nicht gesagt, dass er es war. Es könnte einfach irgendwer mit einem grauen Kapuzensweatshirt gewesen sein.«
Sie lächelte sie entschuldigend an.
Thomas wendete den Volvo in der kleinen Sackgasse und fuhr denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Enskede war richtig idyllisch, ein altes Holzhäuschen nach dem anderen inmitten von Obstbäumen. Genau die Gegend, in der man gerne wohnen würde, wenn man Familie hatte.
Und Kinder.
Margit brach das Schweigen.
»Es hat sich doch wirklich gelohnt, herzufahren und mit ihr zu reden. Findest du nicht?«
»Auf jeden Fall. Jetzt wissen wir, dass Almhult vier Tage, bevorseine Leiche gefunden wurde, in die Stadt gefahren ist. Aber wo hat er sich so lange herumgetrieben?«
Margit dachte eine Weile nach, dann öffnete sie das Handschuhfach und begann, darin herumzukramen.
»Was suchst du?«
»Einen Stadtplan von Stockholm. Jeder Polizist hat ja wohl einen im Auto, oder?«
Thomas lachte und zog die Augenbrauen hoch.
»Ach ja? Hast du einen in deinem Wagen?«
Margit reagierte nicht darauf, sondern suchte weiter. Thomas warf ihr einen müden Blick zu.
»Versuch’s doch mal im Türfach«, sagte er schließlich.
Margit zog einen zerfledderten Papierstapel mit roten Kanten hervor, der von einer Büroklammer zusammengehalten wurde.
»Hast du den Kartenteil aus den Gelben Seiten herausgerissen?«, fragte sie kopfschüttelnd.
»Pernilla hat den Stadtplan mitgenommen, als wir uns getrennt haben. Ich besorge einen neuen, sobald ich dazu komme. Hör auf zu meckern. Das da geht wunderbar. Was willst du damit?«
Margit antwortete nicht. Sie fuhr sich durch ihre kurze Stoppelfrisur und vertiefte sich in das Straßenverzeichnis. Als sie gefunden hatte, was sie suchte, schlug sie die entsprechende Seite auf und setzte den
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