Tödlicher Staub
abkommandiert hat. Es ist eine ›geschlossene Stadt‹, nur mit Passierscheinen zu betreten, und die Soldaten dürfen, wenn sie jemanden überraschen, wie er durch eine Lücke im Zaun die Stadt betreten will, ohne Zuruf sofort schießen.
Krasnojarsk-26 ist die geheime Stadt, in der Plutonium 239 produziert wird. Drei Atomreaktoren sorgen für Nachschub; wieviel Plutonium aus den ›bebrüteten‹ Uranbrennstäben gewonnen wird, ist ein absolutes Staatsgeheimnis. Nur das Atomministerium weiß die genaue Menge … wenn überhaupt eine genaue Menge genannt wird! Die Tonnen von Plutonium, die hier lagern, reichen aus, um fünfundzwanzigtausend Nagasakibomben zu bauen oder – als Staub in die Luft geblasen – die Menschheit und die Tierwelt, die ganze Erde, lautlos auszulöschen!
Nikita Victorowitsch Suchanow holte seinen Chef am Flughafen ab und fuhr ihn in die Stadt zum Hotel. Im neuerbauten Hotel Sibirskaja war eine Suite reserviert. Vor allem von ausländischen Gästen wurde dieses Hotel bevorzugt, denn seit Glasnost und der Öffnung zu den kapitalistischen Staaten im Westen kamen viele Abordnungen und Manager nach Krasnojarsk, um aus der blühenden Stadt geschäftlichen Nutzen zu ziehen. Vor allem die Holz- und Papierindustrie erwirtschaftete gute Gewinne, da in Mitteleuropa die Papierpreise explodierten. Das lag vor allem an den steigenden Löhnen, und damit hatte Rußland keine Probleme, denn jeder war froh, wenn er überhaupt Arbeit bekam. Wie immer auch der außerrussische Markt sich entwickelte: Rußland konnte konkurrenzlos liefern. Hier drückte keine Gewerkschaft – im Gegensatz zu Deutschland – die Lohnforderungen in wirtschaftsfeindliche Höhen; der Lohn wurde einfach festgelegt, und wer nicht mitzog, wurde entlassen. Das war eine radikale Wandlung im Gegensatz zum Sozialismus, die nötig wurde, um für Rußlands Wirtschaft einen Platz im Weltmarkt zu erobern. Als Vorbild diente dabei die Volksrepublik China, die Deng Xiaopings Idee konsequent durchsetzte: geringer Lohn, aber hohe Leistung; Start frei für ausländische Investoren, die für einen Bruchteil der europäischen Löhne gute Arbeiter beschäftigen konnten. Das Wirtschaftswunder kam dann von allein. Man kann auch mit offener Hand Kommunist sein. Der Beweis dafür war überall zu besichtigen; und die Zeit der politischen Eiferer und Fanatiker war vorbei. Wohlstand ist die beste Garantie für innere Ruhe … man muß Ideologien nur richtig und modern interpretieren.
Sybin bezog seine Suite, war sehr zufrieden, duschte sich und kam dann in einem seiner Maßanzüge wieder hinunter in die Halle. Suchanow schnellte aus seinem Sessel hoch.
»Ich bin zufrieden«, sagte Sybin großzügig. Er wußte: wer einen Russen lobt, gewinnt einen Freund. »Ein schönes Hotel. Wo können wir ungestört sprechen, Nikita Victorowitsch?«
»In einer Ecke der Bar. Sie ist um diese Zeit noch leer.«
Die Bar war mit wertvollen Hölzern getäfelt, hatte einen Marmorboden und eine messingblitzende Theke, an der, so schätzte Sybin, fünfzig Menschen bequem Platz fanden. In einer weit entfernten Ecke setzten sie sich auf die dicken Lederpolster. Hier hörte sie niemand; denn auch die Zeiten, wo solche Plätze von in der Wand eingebauten, hochempfindlichen Mikrofonen, Wanzen genannt, abgehört wurden, waren vorbei.
»Was trinkst du?« fragte Sybin.
»Wodka. Hier können Sie so viel Wodka bekommen, wie Sie wollen. In Krasnojarsk werden ganze Getreideernten heimlich zu Alkohol gebrannt. Was Sie auch wollen – in Krasnojarsk bekommen Sie alles! Hier ist nichts unmöglich.«
»Auch auf unserem Gebiet, Nikita?«
»Da sieht es etwas schwieriger aus, Igor Germanowitsch.« Wie Grimaljuk in Tscheljabinsk holte auch Suchanow ein paar Blätter Papier aus der Tasche und legte sie auf die Marmorplatte des Tisches. »Sie kommen jetzt aus Ozjorsk? Wie war es dort?«
»Erfolgreich!« antwortete Sybin knapp. Er wartete, bis der Kellner – ungerufen – mit einer Flasche Wodka und zwei Gläsern kam. Suchanow schien hier bekannt zu sein. Er übernahm das Einschenken und sagte zu dem Kellner: »Wir wollen nicht gestört werden, Waleri.« Sybin nippte an dem Wodka – er schmeckte vorzüglich. Ein weicher Brand, nicht so ein ordinärer Halskratzer wie viele ›private‹ Brände. Am schlimmsten war der Samogon, davon konnte man verblöden.
»Trinkst du immer eine ganze Flasche?« fragte Sybin tadelnd. »Hundert Gramm wären genug.«
»Oh, sagen Sie so etwas nicht, Igor
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