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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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wäre Georg mit einer freudigen Überraschung erschienen.
    »Wenn es ähnlich ist wie das von Herrn Sauter. Drüben habe ich die Bestellungen der gesamten letzten Woche erledigt.«
    »Gut … dann gehe ich Kaffee kochen, aber nur heute«, meinte sie beim Hinausgehen. »Beim nächsten Mal sind Sie dran.«
    »Wenn Sie mich in Ihre schöne Küche lassen.«
    Kaum war Georg allein, brachen die Zweifel wieder über ihn herein. Was wird sie mich fragen, was wird sie wissen wollen, wie wird sie es aufnehmen, was darf ich von mir preisgeben?
    Doch Frau Berthold stellte keine Fragen, das, was sie zu sagen hatte, bezog sich nur auf die Arbeit, und erst nach Mitternacht, die Zeit war rasch vergangen, fragte sie ihn nachseinem Beruf und was denn nun dran sei an seinem Sabbatjahr, das mit der Praktikantenrolle sei sicherlich nicht ernst gemeint. Auch wenn es für ihn hart werden konnte, gab Georg klare, schonungslose Antworten, schonungslos auch sich selbst gegenüber, was sie erschrecken ließ.
    »Sie haben mich gefragt, also beschweren Sie sich bitte nicht über die Antworten.«
    »Aber die Kinder werden Ihnen fehlen«, sagte sie, und in ihrer Stimme klang Empörung durch. »Ich könnte nicht ohne sie leben.«
    »Aber der Vater kann’s, wie ich annehme, Kilian ließ etwas in der Richtung verlauten. Der Vater sei ›weg‹, wie er es ausdrückte. Wie kann man das verstehen?«
    Der Blick, der Georg traf, war so ernst, dass er ihn nur kurz aushielt, dann wich er aus.
    »Kilian drückt sich immer klar aus. Ja, der Vater ist weg, er war weg, wir wissen wenigstens, dass ihm nichts passiert ist. Wir hatten mit allem gerechnet, nur damit nicht.«
    »Jetzt blicke ich nicht durch«, sagte Georg.
    »Das tut kaum jemand«, antwortete Frau Berthold und erzählte, dass ihr Mann, »wir waren nicht verheiratet«, eines Tages verschwand, spurlos, ohne Ankündigung, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Er sei nach Bremen gefahren, habe morgens im Hotel ausgecheckt und sei danach nicht zurückgekommen. Weder seine Familie noch Freunde oder Bekannte hätten etwas über seinen Verbleib gewusst. »Einige haben wohl dichtgehalten.« Sie hatten die Polizei eingeschaltet, eine Vermisstenanzeige aufgegeben, aber bei den vielen Menschen, die in Deutschland vermisst werden, sucht niemand nach einer von knapp sechstausend Personen. »Dabei war ich gerade mit Kilian schwanger. Es ist mir unbegreiflich, dass ein Vater sich nicht für sein Kind interessiert.«
    Dem Menschen ist nichts fremd, dachte Georg, es jedoch auszusprechen hätte Susanne Berthold wenig geholfen. IhrBericht war nicht mehr nur schmerzhaft, es war bereits ein Teil Geschichte. Sie fuhr fort.
    »Vor zwei Jahren dann waren zwei Freundinnen von mir in Frankreich unterwegs, beide Winzerinnen, sie sind an der Loire zu einer Weinprobe auf ein Schloss gefahren. Da stand er plötzlich vor ihnen, ohne Vorwarnung. Sie erkannten ihn, er war ein gut aussehender Mann, wie sie mir erzählten, schlank, sportlich, todschick angezogen, Seidenkrawatte, Kavalierstüchlein, goldene Manschettenknöpfe, handgemachte Schuhe, so war er aus einem Geländewagen gestiegen. Meine Freundinnen wollten Reißaus nehmen, aber warum sie? Es wäre an ihm gewesen, sich zu verdrücken. Nur dazu war es zu spät. Kurzum: Er hat die Schlossbesitzerin geheiratet – und hat mit ihr weitere Kinder. Ist auch besser, als auf einem pietigen Weingut an der Mosel zu leben, wo man in Gummistiefeln rumrennt und nachts malochen muss, nach einem Zehn-Stunden-Tag draußen. Hier ist nichts mit goldenen Manschettenknöpfen. Jetzt sind Sie platt, nicht wahr?«
    Das war Georg in der Tat. Er starrte irgendwohin, Susanne Berthold ebenfalls, ihre Blicke trafen sich kurz wie in einem gemeinsamen optischen Seufzer, mit der Bitte um Gnade. Jeder, in die eigene Geschichte verstrickt, entdeckte, dass auch der andere eine hatte, die ähnlich schmerzhaft war.
    »Wir lernten uns während des Studiums kennen, ich habe Geologie studiert, in Heidelberg, ein Fach mit der richtigen Distanz zum Weinbau, weg von der Mosel und weg von zu Hause. Aber dann hatte mein Vater diesen Schlaganfall. Was blieb mir übrig, als zurückzukommen? Mein damaliger Freund kam mit. Ein Weingut an der Mosel – das klang nach Wein und nach Gut, nur mit Arbeit, schon gar nicht in diesem Ausmaß, hatte er nicht gerechnet. Das war sein Problem, dazu noch ein kleines Kind und ein zweites im Anmarsch. Da blieb nur die Flucht. Jetzt hat er Kindermädchen, Köchin, Gärtner.« Verachtung

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