Tödlicher Steilhang
»Da kann man Sie einplanen, als Praktikanten sozusagen? Wieso haben Sie so viel Zeit?«
Georg dachte, dass die Ausrede mit dem Sabbatjahr auchhier passte, sie stellte jeden zufrieden, obwohl sich kaum jemand vorstellen konnte, für ein Jahr aus dem Beruf auszuscheiden und nach der Rückkehr den Arbeitsplatz unbesetzt vorzufinden.
»Ich habe keine Zeit für so was!« Bischof war die Ablehnung in Person. »Ein Azubi langt mir!« Er sah Klaus in einer Weise an, die Georg nicht zu deuten wusste. »Außerdem kommt der Vertreter für das RMS in einer Stunde her.«
»Irrtum, mein Lieber, die Ausrede taugt nicht, aber das konnten Sie nicht wissen.« Es hatte den Anschein, als hätte Frau Wackernagel während der Abwesenheit des Chefs das Sagen. »Der Vertreter von Hoffmann hat gerade vor dem Mittagessen angerufen, er lässt sich entschuldigen, der Termin findet morgen statt.«
»Was bitte ist das RMS?«, fragte Georg, und nur er selbst war erstaunt, dass er es fragte.
»Es ist das Raupen-Mechanisierungs-System«, sagten Klaus und Bischof gleichzeitig. Beide sahen sich an, fragend, wer weitersprechen durfte. Bischof schlug die Augen nieder, jetzt war Klaus am Drücker.
»Die Arbeit in den Steillagen ist schwer, wir finden kaum Arbeitskräfte, keiner will sich quälen. In wirklich steile Lagen, die wir auch bearbeiten, kommt man nur mit der Raupe, nicht mit dem Traktor. Früher hat man Seilzüge genommen …«
»Das reicht«, unterbrach ihn Bischof, »fürs Erste jedenfalls. Sie werden das System früh genug zu sehen kriegen, Herr … Hellberger. Wir reden weiter, wenn wir ein solches Fahrzeug vor Augen haben. Wenn wir jetzt den Weinberg von Albers kriegen – da kann man nur zu Fuß oder mit der Raupe arbeiten. Wenn seine Frau den Betrieb erbt, wird’s einfacher. Die ist nicht so zäh.«
»Albers ist noch nicht unter der Erde, und Sie reden bereits davon, dass wir den Weinberg kriegen.« Frau Ludwig tat peinlich berührt. »Das ist pietätlos, besonders bei Ihrem Namen, Herr Bischof.«
Frau Wackernagel wechselte das Thema. »Also – ihr macht heute den Rundgang durch die Keller mit Herrn Hellberger. Da kann Klaus zeigen, was er gelernt hat, und merkt gleich, was er nicht weiß. Und Sie, Herr Bischof, werden damit leben. Vielleicht übernimmt Klaus eines Tages die Kellerei. Sie wissen selbst, wie viel er draufhat. Er ist jung, der Chef ist alt, Kinder haben die Sauters nicht.« Das war an Georg gerichtet. »Und Sie, Bischof, sind auch alt, in zehn Jahren gehen Sie in Rente.«
»In zwölf …«, meinte Klaus besserwisserisch.
»Er zählt die Tage«, fügte der Kellermeister sarkastisch hinzu.
Georg war froh, dass sich die Aufmerksamkeit von ihm abwandte, aber er hatte sich zu früh gefreut. Frau Ludwig blieb hartnäckig, das Thema Familie war ihr wichtig.
»Was sagen Ihre Frau und Kinder dazu, dass Sie ein Jahr lang verschwinden? Ich möchte meinen Mann nicht entbehren müssen, außer …Oh, habe ich da in ein Fettnäpfchen getreten?« Sie bemerkte Frau Wackernagels entsetzten Blick.
»Nein, das haben Sie durchaus nicht.« Georg trat die Flucht nach vorn an. »Ich finde Ihre Frage verständlich. Wir, das heißt meine Frau und ich, wir benötigen etwas Abstand, eine Auszeit. Manchmal braucht man Zeit, um wieder klar zu sehen.«
Frau Ludwig signalisierte mit skeptischer Miene, dass sie wenig davon hielt, weder von der Antwort noch davon, sich zu trennen, doch sie schwieg. Das war Georg mehr als angenehm. Hätte er hier ausbreiten sollen, dass Miriam ihn quasi vor die Tür des Hauses gesetzt hatte, das er erarbeitet hatte? Dass sie ihm nachspioniert und letztlich gemeinsame Sache mit seinem Arbeitgeber gegen ihn gemacht und ihn ein halbes Jahr oder länger bespitzelt hatte, in übelster Stasi-Manier? Und er hatte immer weiter diskutiert, hatte die Ehe retten wollen, hatte nach einem Ausgleich gesucht, nach Versöhnung, getrieben von der Angst, die Kinder zu verlieren.
»Bilde dir bloß nicht ein, dass du die Kinder kriegst. Niemals!«, hatte sie gesagt. »Das schwöre ich dir, höchstens über meine Leiche«, hatte sie angefügt, höhnisch und herablassend, wie immer in letzter Zeit.
Er hatte nie begriffen, worauf ihre vermeintliche Überlegenheit fußte, bis zu jenem Tag, an dem er die Knolle für falsches Parken zugeschickt bekommen hatte. Er hatte den Geländewagen nie vor jenem Haus geparkt.
Die anderen am Tisch starrten ihn an, er glaubte, dass er wieder diese fürchterliche Grimasse zog, das
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