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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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weil man einen Tapetenwechsel brauche, nachdenken müsse, bevor man etwas Neues beginne, und dann hörte er sich sagen, dass ihn sein bisheriger Beruf aufgefressen und ihm die Luft zum Atmen genommen habe. Ihm fehle der Bezug zum realen Leben, jenseits der Schreibtische, Kalkulationen und Personalentscheidungen.
    Er hatte das Gefühl, dass er schwafelte, um von sich abzulenken, und fürchtete, dass sie es bemerkte, denn sie beobachtete ihn genau. Dieser Eindruck verstärkte sich, als er davon sprach, dass ihn der Weinbau mehr als alles andere fasziniere. Als er von den Erfahrungen der ersten Woche berichtete, geriet er ins Schwärmen, von der Vielfalt der Arbeit ebenso wie von der grandiosen Flusslandschaft, in der man sich hier bewege, unter einem lebenden Himmel, von den sich bei jedem Schritt verschiebenden Perspektiven undder Ruhe des Wassers. Außerdem sei er von der Geschmacksvielfalt des Rieslings verblüfft.
    »Sie sind alle anders, die von Sauter, die von Busch, wo ich neulich probiert habe, und die von Menges und Christoffel. Menges meinte, dass er neidlos anerkennen müsse, dass die Spätlese seines Nachbarn den Ürziger Würzgarten besser repräsentiere als sein eigener.«
    Georg stockte bei dem unvorstellbaren Gedanken, dass der Mann, der das gestern gesagt hatte, jetzt nicht mehr lebte. Aber er behielt es für sich, er wollte keine neuerliche Debatte. Deshalb blieb er beim Wein.
    »Ich habe zwar vorher den einen oder anderen Riesling getrunken, aber meistens war er entweder zu süß oder zu sauer, und diese Weine waren wenig erbaulich.«
    »Dieser Eindruck ist entstanden, da viele Winzerkollegen noch nicht begriffen haben, dass sie mit Massenproduktion kein Geld verdienen, dass sie sich langfristig in die Pleite wirtschaften und das ramponierte Ansehen der Mosel weiter schädigen. Auf der Seite der Kunden muss man sehen, dass viele nicht bereit sind, für Wein einen anständigen Preis zu zahlen.« Frau Bertholds grimmig ausgesprochene Worte zeigten ihre Bitterkeit. »Einen Wein für zwei neunundvierzig? Aber wenn es um ihr liebstes Spielzeug geht, akzeptieren sie beim Benzin jeden Preis. Das ärgert mich gewaltig.« Das war ihr anzusehen. »Wenn Sie die Guten probieren, die Qualitätsweine, wozu ich auch meine rechne, gewinnen Sie einen gänzlich anderen Eindruck. Meine Preisliste beginnt bei sechs Euro für den Gutsriesling in der Literflasche, wie ich ihn nenne. Meine Trockenbeerenauslese, die ich nur in besonders guten Jahren habe, wie 2003 und 2011, kostet um die fünfundvierzig Euro, dreihundertfünfundsiebzig Zentiliter, die kleine Flasche.«
    »Was ist eine Trockenbeerenauslese?«, fragte Georg.
    Verblüfft über seine Unkenntnis erklärte Frau Berthold, dass es sich um Wein von edelfaulen, vom Botrytispilz befallenenTrauben handele. Der Pilz durchdringe die Beerenhaut, bei trockenem Wetter verdunste das Wasser, der Traubenzucker und der Extrakt an Geschmacksstoffen würden auf diese Weise konzentriert, die Trauben verschrumpelten dann. Der Alkoholgehalt sei gering, liege zwischen sechs und sieben Volumenprozent, aber der Anteil von unvergorenem traubeneigenem Zucker sei umso größer, manchmal betrage er sogar bis zu zweihundert Gramm pro Liter und mehr.
    »Auch vom Eiswein trinkt man nur ein Gläschen, und das nur zu besonderen Gelegenheiten  – zum üppigen Dessert, zu Blauschimmelkäse und feinen Pasteten.« Sie schenkte Kaffee nach.
    »Kann man Ihre Weine auch probieren?«
    Georg war neugierig geworden und wollte höflich sein. Der Kontakt zu Frau Berthold war eine Möglichkeit für ihn, weiter in den Weinbau vorzudringen. Er hätte sie gern mehr gefragt, und als hätte sie Gedanken lesen können, bot sie ihm an, sie zu begleiten. Sie habe morgen in Graach zu tun, dem Nachbarort flussaufwärts, sie wolle sich von einem Bekannten, der hervorragende Weine mache, einen Rat einholen. Er würde Georg sicher einige seiner Weine vorstellen. Ihre Väter seien befreundet gewesen.
    »Was heißt gewesen?«, fragte Georg.
    »Mein Vater hatte bereits vor Jahren einen Schlaganfall, er hat sich kurz erholt, bis der zweite kam. Danach war er zu nichts mehr in der Lage. Ich hatte gerade mein Studium beendet, mein Diplom als Geologin erworben  – und mich in einen Mann verliebt.« Letzteres sagte sie fast mit einem Stöhnen. »Mein Vater starb bald darauf. Meine Mutter hat das nicht verkraftet. Ich habe hier vieles geändert, modernisiert, zum Beispiel die Mengenproduktion heruntergefahren, wir haben die

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