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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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Vergorenem, dazu ein Hauch Vanille. Wenn Georgs Orientierungssinn richtig funktionierte, dann stießen beide Keller unter der die Grundstücke trennenden Straße sogar aneinander. Hier unten lagen Fässer mit Spätburgunder, wie Georg erfuhr, und auch ein Weißwein wurde auf diese Weise ausgebaut. Ihm schmeckten diese Weine zu sehr nach Holz und zu wenig nach Wein.
    »Probierst du etwa schon?«, fragte Georg, staunend über die Sachkenntnis des Jungen.
    Kilian strahlte Georg an, lief zu einem Regal und kam mit einem Schnapsglas mit einem eingravierten K zurück. »Das ist meins! Ich habe es von Opa geerbt. Er hat es gravieren lassen.« Er hielt es wie eine Trophäe in die Höhe.
    Der Großvater war also nicht mehr am Leben, und auch sonst gab es wohl keinen Mann auf diesem Weingut. Dann schmiss diese Frau den Laden ganz allein? War sie überfordert, lebte sie deshalb in diesem Auf und Ab der Gefühle?
    »Wenn Mama dabei ist, kriege ich immer was«, fuhr Kilian fort. »Aber man darf die Fässer nicht so oft aufmachen, um was rauszuheben, sagt sie – mit dem Ding da.« Er zeigte auf einen Glaskolben, länger als Georgs Unterarm. »Den steckt man durch das Loch da oben in das Fass, Spundloch heißt das. Dann drückt man oben mit dem Daumen auf das Loch in dem Weinheber, dann bleibt der Wein drin. Aber warum der nicht rausläuft, weiß ich nicht.«
    Georg betrachtete den Weinheber. »Ich nehme an, dass der Wein vom Vakuum gehalten wird.«
    »Was ist ein Vakum?«
    »Ein Vakuum – ist ein luftleerer Raum …«
    »Aber Luft ist doch überall …«
    »Nicht im Vakuum. Schließ einmal die Lippen und sauge die Luft aus deinem Mund. Dann fallen die Wangen ein, weil sich in der Mundhöhle ein Vakuum bildet …«
    Kilian probierte es sofort aus, als vom Eingang des Kellers ein diskretes Räuspern kam, Frau Berthold trat ins Licht.
    »Haben Sie Kinder?«
    Als fühlte er sich ertappt, drehte Georg sich schnell um. »Kinder? Ja – zwei, es sind … Mädchen, sie – sie …«
    »Sie erklären gut. Entschuldigen Sie, es geht mich nichts an.« Frau Bertholds Gesicht, freundlicher als zuvor auf dem Hof, verschloss sich wieder.
    »Schau, Mama, ich habe ein Vakum im Mund.«
    »Vakuum heißt das, mit zwei U wird’s geschrieben!«
    In Georgs Ohren klang die Richtigstellung ein wenig zu harsch, er war unsicher, ob er etwas gesagt hatte, das zu ihrem erneuten Stimmungsumschwung geführt hatte. Kilian war genauso überrascht davon wie er.
    Da der Kaffee fertig war, schlug Frau Berthold vor, ihr nach oben zu folgen, sie ging voran.
    »Wie lange bleibst du hier, bei Stefan?«, wollte Kilian auf der Treppe wissen. »Wir duzen uns nämlich, ich und Stefan.«
    »Lass Herrn Hellberger seinen Kaffee trinken und frag nicht so viel, außerdem nennt sich der Esel immer zuerst.«
    »Ich weiß es nicht, noch nicht«, sagte Georg und erklärte, dass er nichts gegen die Frage habe, obwohl das nicht stimmte. Sie erinnerte ihn einmal mehr daran, dass seine Vorstellung von Zukunft in etwa zwei Stunden endete. Irgendetwas würde auf ihn zukommen, irgendetwas war immer auf ihn zugekommen, er würde wieder reagieren, und dieser Gedanke führte ihm seine Einfallslosigkeit deutlich vor Augen.
    Die Küche, aus der ihm frischer Kaffee entgegenduftete, ließ ihm die Augen übergehen. Sie stand in ihrer geradlinigen Modernität aus Glas und Stahl in absolutem Kontrast zudem alten Haus, das zwar kein Fachwerk mehr war, doch noch vor der Gründerzeit gebaut worden war. Trotz des kühlen Designs hatte der Raum eine einladende Atmosphäre. Die schuf der riesige Strauß von Feldblumen, der in seiner Farbenpracht Georg mit sich selbst versöhnte.
    »Wunderschön«, sagte er staunend.
    Frau Berthold zeigte ein kurzes Lächeln, was sie viel schöner aussehen ließ, danach zog sie sich wieder hinter ihre Maske der Unnahbarkeit zurück. War sie aufgesetzt, oder war die Frau immer so abweisend? Als würde sie einen Weinkunden vor sich haben, zog sie geschäftsmäßig einen der Stahlrohrstühle heran. Dasselbe Modell stand zu Hause in seinem Esszimmer, Marcel Brun hatte sie entworfen.
    »Kilian meinte, Sie seien Praktikant bei Stefan, bei Herrn Sauter, wir duzen uns, als Kollegen«, schob sie gleich nach, als müsse sie sich erklären. »Ich kann mir das schlecht vorstellen, ein Mann wie Sie – als Praktikant?«
    Georg zögerte, er wollte nicht von sich sprechen, deshalb sprach er  – ähnlich unnahbar wie sie zuvor  – vom Nutzen eines Sabbatjahrs, das man antrete,

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