Tödlicher Steilhang
es ausgedrückt hatte. Er erinnerte sich auch an einen Streit mit Miriam und wie er sich dagegen gesträubt hatte, als sie unbedingt ihren Urlaub in Acapulco hatte verbringen wollen, ungeachtet aller Exzesse der dortigen Drogenmafia. »Ob du nun da hinfährst oder nicht, die machen sowieso weiter.« So war sie eben. Sie hätte auch die Kinder mitgenommen.
Es war offensichtlich, dass Klaus nach dem morgendlichen Streit wegen Georgs Schweigen verunsichert war. Er wartete auf einen Kommentar, entweder um ihm zuzustimmen oder um sich an ihm zu reiben. Er brauchte die Auseinandersetzungen zum Erwachsenwerden, zum Kräftemessen und um sich selbst zu erfahren. Anders konnte sich Georg sein Verhalten nicht erklären. Bevor er weiter in solche Gedanken abdriftete, machte er Klaus einen Vorschlag.
»Was halten Sie davon, wenn wir uns nach Feierabend die Stelle ansehen, wo Herr Menges – auf welche Weise auch immer – umgekommen ist?«
Bischof war gespannt auf Klaus’ Reaktion. Frau Wackernagel bedauerte, nicht selbst mitkommen zu können, da sie am Abend eine Verabredung habe, und Klaus war baff.
»Leider kann ich nicht. Soweit ich weiß, wurde eine Mitgliederversammlung der Bürgerinitiative einberufen – ich könnte Sie mitnehmen, ich könnte allen erklären, dass Herr Menges Sie gebeten hat, für ihn zu ermitteln …«
»Um Ihre Theorie von einem Anschlag zu stützen?«, fragteGeorg, »Das kommt nicht in Frage. Ich habe einstweilen gar keine Theorie. Ich will mir einen Überblick über den Unglücksort verschaffen.«
»Den Tatort, meinen Sie!«
»Ein Unglücksort ist es auf jeden Fall«, erwiderte Georg hartnäckig. Er hasste vorschnelle Urteile, und er wollte den Eindruck vermeiden, dass auch er an Mord dachte, denn auch der ertrunkene Peter Albers gab ihm weiter zu denken. Zwei Tote gab es, seit er hier war. Um Albers musste er sich auch kümmern, aber eins nach dem anderen.
»Ich habe gestern gesehen, dass Ihre Leute gefilmt haben, die Aufnahmen sollten wir uns ansehen. Dann waren Anwesenheitslisten ausgelegt, die sollten wir ebenfalls sichten …«
»Na wenn das so ist – ich erkundige mich, ob die Versammlung tatsächlich heute stattfindet.«
Um fünf Uhr machten sie Feierabend, die Spritzmaschine war fertig geworden, die Einstellung stimmte, Klaus war wieder mit ihm versöhnt und hatte ihm noch den Dampfreiniger und den Hochdruckreiniger erklärt, mit denen sie Lesekästen von Traubenrückständen reinigten, bevor sie für den nächsten Lesegang genutzt wurden. Bis zur Ernte, die sich in manchen Jahren bis in den November erstreckte, waren es noch einige Wochen, je nach Wetterlage. Müller-Thurgau war zuerst reif, Riesling brauchte mehr Zeit, und je länger die Trauben am Stock blieben, desto höher wurde der Zuckeranteil, so jedenfalls hatte er Bischof verstanden. Aber gleichzeitig sank die Säure, und dem Kellermeister zufolge war es Sauters Ziel, möglichst hohe Zucker- wie auch Säurewerte zu erhalten. Säure machte den Wein haltbar und reifefähig, aber der Zucker und der Extrakt bildeten ein Gegengewicht, damit kein Durchschnittswein dabei herauskam, denn so waren weder anspruchsvolle Weinkenner noch der Fachhandel zu überzeugen. Es war ein Balanceakt und besonders in diesem Jahr eine Angstpartie, denn das Frühjahr war schlechtgewesen, es hatte zu viel geregnet. Deshalb hofften alle auf einen goldenen Herbst und vielleicht sogar eine Lese erst im November, möglichst bei kühlen Nächten.
Wo werde ich dann sein, fragte sich Georg, hier oder irgendwo anders? Auf keinen Fall wieder in Hannover.
Er fuhr ins nahe Luxemburg und kaufte dort ein neues Mobiltelefon und Prepaid SIM-Karten, um seinen Standort nicht zu verraten. Den Zugang zu den Firmendaten per BlackBerry hatte Baxter bei seinem Rauswurf sperren lassen. In den nächsten Tagen würde er auch einen Wagen mieten. Er konnte den alten hier stehen lassen, seine Bewacher würden ihn weiter in Zeltingen-Rachtig vermuten, und ihm war es möglich, unentdeckt nach Hannover zu kommen und die Kinder zu sehen. Außerdem musste er sich dringend mit Pepe treffen. Bei seinem Aussehen und Auftreten würde sein Freund sich ohne Schwierigkeiten auf dem Campingplatz das Vertrauen der Rocker erschleichen und für ihn spionieren. Georg musste wissen, was zwischen Frau Albers und diesem Schwager geschah und welche Rolle die Motorradtypen spielten.
Bei seiner Rückkehr traf er Frau Wackernagel im Büro an, sie telefonierte hinter den Lesehelfern her,
Weitere Kostenlose Bücher