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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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wurde bei den Empfängen des Bundespräsidialamtes getrunken, wie Frau Wackernagel stolz erzählt hatte. An den Namen erinnerte sich Georg, weil im Büro Rechnungen für Versektung eingetroffen waren, ein für ihn neues Wort. St. Laurentius wurde auch in ihrem Prospekt erwähnt. Georg lächelte bei dem Gedanken still vor sich hin, eben hatte er zum ersten Mal in Bezug auf Sauters Weingut wieder an ein Wir gedacht. Er hatte schon geglaubt, jedes Gefühl für ein Wir verloren zu haben, das zur Familie, das zur Firma sowieso und auch das zu den Judoka seines ehemaligen Vereins. Nun war wieder eines aufgetaucht, und das gab ihm einen Halt.
    »St. Laurentius Sektstuuf« hieß das Restaurant, von dessen Terrasse nichts den Blick auf den Fluss und die halbhohen Weinberge gegenüber verbaute, den Laurentiuslay.
    Per SMS bat er Frau Ludwig, ohne ihn mit dem Mittagessen zu beginnen, er habe Dringendes zu erledigen, und setzte sich auf die Terrasse des Restaurants, bestellte ein Glas vom besten Sekt, als gäbe es etwas zu feiern, und suchte sich auf der Speisekarte aus, was ihm am besten gefiel. Dann lehnte er sich zurück und beschloss, den Tag zu genießen. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt so entspannt gegessen und die Umgebung genossen hatte. Es gab vieles, das ihm gefiel. Die Vielfalt der Düfte, der Geschmacksnoten, der Aus- und Einblicke, der mit jeder Moselschleife sich veränderndenLandschaften faszinierte ihn. Auch dieser Sekt vom Schiefer faszinierte, es war, als hätte er einen fruchtigen Schaum im Mund, fast ein Sorbet, mehr wie ein Champagner, der nur bei Topevents der Hersteller von gepanzerten Fahrzeugen und Sicherheitselektronik gereicht wurde.
    Die Beschaulichkeit wurde jedoch vom Lärm eines Hubschraubers zerrissen, der in höchstens fünf Meter Höhe über den Kamm des Weinbergs am jenseitigen Ufer herangerast kam. Doch als der kleine Hubschrauber am Fluss abdrehte und sich unter ihm ein weißer Nebel löste, war Georg beruhigt und schnupperte, ob er das Spritzmittel roch. Nein, der Wind wehte nichts davon herüber, er konnte gelassen weiteressen und sah den lebensgefährlichen Manövern des Piloten zu, der den Arbeitern das mühselige Spritzen der Steillagen mit einem Tank auf dem Rücken ersparte. Plötzlich verschwand der Hubschrauber hinter der Kapelle oben auf dem Kamm, und die Stille kehrte zurück.
    Beschwingt wie im Urlaub fuhr Georg weiter, Orte wie Neumagen-Dhron, wo man Schritt fahren musste, wo die Haustüren offen standen und die Blumentöpfe auf dem Gehsteig, verstärkten das Gefühl. Als er an einer Kreuzung den Wegweiser zum Römerschiff sah, bog er sofort ab, das Urlaubsgefühl wollte er festhalten, es durfte nicht aufhören, er fürchtete sich geradezu vor dem Ende seiner euphorischen Stimmung.
    Aber die Zeit lief, der Tag verrann, er hatte versprochen, im Weinberg zu helfen. Er stieg nur kurz aus, als er einen Mast sah, schwang sich auf eine Böschung und lief zum Steg. Da lag sie, die »Stella Noviomagi«, der angeblich originalgetreue Nachbau aus hellem lackiertem Holz, mit dessen Vorläufer die Rudersklaven den Wein zum Rhein und die Statthalter zu ihren Villen am anderen Ufer gebracht hatten. Es war ein hochbordiges Schiff mit einem Rammsporn und einer abschreckenden Tierfratze über dem Bug. Hinter einem offenen Geländer hatten die Ruderer gesessen, jetzt ragten die Riemensenkrecht in die Höhe. Auf dem erhöhten Achterdeck mit den seitlichen Steuerrudern stand ein großes Weinfass.
    Ein andermal würde er sich dieses Schiff genauer ansehen, vielleicht zusammen mit Rose. Sie mochte Schiffe, letzten Sommer hatte sie auf dem Steinhuder Meer einen Segelkurs mitgemacht, und noch vor einem Monat hatten sie am Maschsee auf der Ufermauer gesessen und die Boote beobachtet. Diese Erinnerung zerstörte mit einem Schlag seine Ferienstimmung.
    Ohne die Umgebung zu würdigen, fuhr er weiter, kam durch das völlig von Touristen verstopfte Bernkastel-Kues, das ihn wieder an die Landschaft einer Spielzeugeisenbahn erinnerte, die bunten Fachwerkbauten waren die Faller-Häuser seiner Kindheit. Um ans Ufer des völlig überlaufenen Ortes zu kommen, brauchte er zwanzig Minuten und war erleichtert, als er die Weinberge wiedersah, den Doctorgarten am Ortsausgang, das Graacher Himmelreich, die Wehlener Sonnenuhr ein Stück voraus. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er daran vorbeifuhr, auch damit verband ihn bereits ein Faden, hauchdünn zwar, aber immerhin …
    Susanne Berthold

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