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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Castro
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mischen sich unter die aus Kirschholz. Donnerstagabends gehe ich mit meinen Mädelsaus oder habe sie bei mir, dann gibt es Guanabana-Mojitos und kalte Schinkensuppe mit kleinen Schnitzen Honigmelone. Die paar originellen Anekdoten zur Lokalgeschichte, auf die ich bei meinen Recherchen für Leben & Mehr stoße, präge ich mir ein, so dass ich, wenn ich im Smalltalk versage, etwas hervorzaubern kann, das die Konversation am Leben erhält. Bei der Arbeit trage ich hochhackige weiße Sandalen, rote Blusen und enge weiße Hosen wie ein kubanischer Engel für Charlie.
    Es ist eine Art kultureller Synthese. Mehr als das habe ich nicht, aber ich kriege es hin, dass es funktioniert.
    In der Redaktion schlage ich einen sachlichen Ton an, gebe wasserdichte Texte ab und bin meiner Deadline immer voraus, deshalb lassen die Leute mich in Ruhe, und ich kann meinen Weg ungestört weiterverfolgen.

2
    Am Mittwochmorgen bin ich zeitig an meinem Platz. Unsere Abteilung ist in Aprilsonnenlicht getaucht. Klatschspaltenredakteure schlendern umher, bleiben hier und da stehen, um einen Kaffee zu trinken und zu schwatzen, und tun so, als wären sie richtige Journalisten. Alles hier ist hell, banal und harmlos, wie immer, nur auf meinem Schreibtisch liegt die Akte des ehemaligen stellvertretenden Grundschulleiters Blake Lanusse aufgeschlagen, und er starrt mich von dem Polizeifoto aus an. Meine Hand, die schon auf dem Telefonhörer liegt, ist wie gelähmt. Ruf einfach an, Nola . Oben vom Raumteiler zum benachbarten Arbeitsplatz herab erwidert ein rot-grüner Plüschpapagei ausdruckslos meinen Blick.
    Ich wähle Lanusses Privatnummer und hoffe, dass er nicht da ist, so dass ich eine Nachricht hinterlassen und mich dem Nächsten auf meiner Liste zuwenden kann.
    Beim zweiten Klingeln geht er ran. »Ja?«
    »Könnte ich bitte Mr. Lanusse sprechen?«
    »Mit dem sprechen Sie bereits. Wozu brauchen Sie ihn?« Er klingt jovial, herzlich – mit einem angenehmen Kratzen in der Stimme. Sein Ton ist beiläufig, unkompliziert, kumpelhaft, so redet man gern in dieser Stadt, selbst in den gehobenen Kreisen.
    »Ich bin von der Times-Picayune , Mr. Lanusse. Wir planen eine Reportage über die Wiedereingliederung ehemaliger Sexualstraftäter in New Orleans. Ich würde gern ein Interview mit Ihnen führen, um auch Ihre Sicht auf die Dinge zeigen zu können.«
    Einen langen Moment herrscht absolutes Schweigen.
    »Meine Sicht.« Keine Spur mehr von Herzlichkeit.
    »Ja.«
    »Woher haben Sie meinen Namen?«
    »Von der Staatsanwaltschaft. Dort sind Sie mir als besonders intelligent und redegewandt empfohlen worden.« Das ist glatt gelogen, aber wenn ich beim Recherchieren für Leben & Mehr eins gelernt habe, dann, wie weit man mit Schmeicheleien kommt. »Ich möchte von Ihnen nur hören, wie Sie sich behandelt gefühlt haben, seit Sie rehabilitiert und entlassen sind.«
    »Wie ich mich behandelt gefühlt habe, ja?« Sein Lachen ist so kalt, dass ich ein Kribbeln im Nacken spüre. »Glauben Sie im Ernst, dass die guten Leute in New Orleans wissen wollen, was ich dazu zu sagen habe?«
    »Ja, Mr. Lanusse, absolut. Ihre Ansichten sind für die Story ganz wesentlich. Sie repräsentieren eine signifikante Bevölkerungsgruppe.« Schmeichle ihnen, dann seif sie mit pseudointellektuellem Geschwafel ein.
    »Ich weiß nicht.«
    »Nicht viele Sexualstraftäter bekommen die Gelegenheit, ihre Meinung öffentlich kundzutun, Mr. Lanusse. Bei diesem Thema sind große Vorurteile und Ängste im Spiel. Das möchte ich mit meiner Story ändern. Wenn Sie Ihre Sicht einbringen, können Sie so etwas sein wie eine Stimme der Vernunft. Ihr Beitrag könnte sehr erhellend ...«
    »Also zu sagen hätte ich genug, das ist nicht der Punkt.« Er hält kurz inne und fragt schließlich: »Wo würden Sie das Interview führen?«
    »Wo immer es Ihnen recht ist.« Vorzugsweise an einem sauberen, gut ausgeleuchteten Ort, an dem sich viele Menschen aufhalten. Zum Glück gibt es solche Orte in New Orleans reichlich.
    »Wie wär’s bei mir?«
    »Bei Ihnen zu Hause?«
    »Ich habe eine Wohnung im Quarter. Da können wir ungestört reden.« Obwohl der Raum um mich her sonnig und voller Leben ist, kriecht mir ein Schauer über die Schultern den Nacken hinauf. Mein Blickfeld verengt sich so, dass icham Ende nur noch sehe, wie er von dem Foto in der Akte zu mir herauf starrt: dunkle Haare, Topfschnitt, das eigentlich ganz ansehnliche Gesicht, das sich vor dem Polizeifotografen verschlossen hat, kalte, helle

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