Toedlicher Sumpf
Augen wie zwei in den Sand gedrückte Muscheln.
»Ich weiß nicht. Ich dachte an so etwas wie ein Café ...«
»Ich weiß, was Sie dachten«, antwortet er. »Hören Sie. Meinen Sie wirklich, ich würde über dieses Thema reden, wenn rundherum Leute sitzen?«
»Ich dachte einfach, das ist das Bequemste.«
»Bequem für wen?«
Ich hole tief Luft. »Mr. Lanusse, ich würde mich gern in einem Café oder Restaurant mit Ihnen treffen oder an einem anderen öffentlichen Ort, der Ihnen angenehm ist.«
Für einen Moment herrscht wieder Schweigen.
»Wollen Sie dieses Interview oder nicht?«
»Aber ja, natürlich.«
»Gut. Über mein Privatleben rede ich nicht an einem öffentlichen Ort. Punkt.«
Für die Story wäre es vermutlich ohnehin besser, ihn in seiner vertrauten Umgebung zu treffen – um die Atmosphäre einzufangen und so weiter. Wahrscheinlich sollte ich das den beiden anderen Männern ebenfalls vorschlagen. »In Ordnung, ja«, sage ich schließlich. »Ihre Wohnung ist gut.«
Blake Lanusse gibt mir seine Adresse – sie stimmt mit der in der Akte überein – und erklärt, er könne am Mittwoch in einer Woche um die Mittagszeit.
»Sie hören sich jung an«, sagt er unvermittelt. »Wie alt sind Sie?«
Was spielt das für eine Rolle? , möchte ich fragen, aber ich will ihn nicht jetzt schon brüskieren. »Siebenundzwanzig.«
»Wie sehen Sie aus?« Eine lange Pause entsteht. »Damit ich Sie erkenne, wenn Sie herkommen.«
»Ich bin eins achtundsechzig«, sage ich langsam, »habe dunkles Haar ...«
»Lang oder kurz?« Sein Ton ist plötzlich weich.
Ich zögere. »Lang.«
»Ich mag langes Haar.« Das Gerede meiner Kollegen verschwimmt zu einem Hintergrundgeräusch, und ich höre nur noch die Stimme von Blake Lanusse und meinen Atem, der flach und hektisch geht. Die glänzenden Plastikaugen des Papageis zwinkern mir zu.
»Ich habe braune Augen«, fahre ich fort und umklammere den Hörer so fest, dass meine Hand anfängt zu zittern.
»Ich freu mich drauf.«
»Also«, erwidere ich, »dann halten wir das so fest.«
Ich verabschiede mich, lege auf und trinke einen Schluck aus der Wasserflasche, die immer auf meinem Schreibtisch steht. Und ich reibe mir die Hände, damit mir warm wird.
Nachdem ich den Anruf bei Lanusse überstanden habe, fallen die anderen mir leichter. Einige Männer gehen nicht ans Telefon, andere lehnen ein Interview ab. Ein paar der Nummern stimmen nicht mehr oder sind abgemeldet worden. Der schwarze Kirchenmann aus Tremé sagt, er glaube, der Herr werde das nicht gutheißen. Aber drei Männer willigen ein. Mike Veltri kann ich am Freitag in seinem Haus in Metairie besuchen; Javante Hopkins – der mit dem Schneiden – klingt ziemlich aufgekratzt, so als habe er irgendwas genommen, er rattert seine Adresse herunter und sagt, nächsten Montag sei es super, super, super, kein Problem, alles klar. Der reiche Kerl, George Anderson, gibt sich umgänglich, ist aber wachsam. Er lässt sich lange gut zureden und mehrfach versichern, dass alles anonym bleibt, und legt dann doch auf, um erst mal mit seinem Anwalt zu sprechen. Am Ende ruft er tatsächlich zurück und erklärt sich einverstanden; Freitag in einer Woche kann ich zu ihm nach Hause kommen, zum Audubon Place.
Nachdem ich am Schreibtisch zu Mittag gegessen habe, fahre ich zur Tulane University, um dort in der Bibliothek zu Sexualstraftätern zu recherchieren. In den Lokalnachrichten sagensie, dass Amber Waybridge, die entführte Touristin, noch nicht gefunden worden ist, und ich frage mich, was Calinda Neues zu dem Fall weiß.
Die Tulane University, meine Alma Mater: riesige, helle Gebäude; junge Männer mit weich fallender Popperfrisur und den unvermeidlichen Kaki-Shorts; Mädchen, die Studentinnenverbindungen angehören, aalglatt, ein EΔT-Emblem hinten auf den Shorts, die Mähne ein Meer blonder Strähnchen – die man sich ganz bequem in dem neuen Aveda-Salon direkt im Studentenwerk machen lassen kann. Eine schöne, reiche Universität für schöne, reiche Studenten.
Ich parke meinen klapprigen Sunfire auf der St. Charles Avenue, hinter dem Audubon Place, einer Ansammlung riesiger Villen; über den Zugang zu der Privatstraße spannen sich hohe Torbögen, bewacht wird er von einem bewaffneten Posten im eigenen Häuschen. Als unter Katrina die Stromversorgung der Stadt zusammenbrach, sorgten private Generatoren dafür, dass in den Villen weder Licht noch Klimaanlage ausfielen. Während anderswo Hubschrauber Menschen von Dächern
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