Toedlicher Sumpf
Schnitt sechzehn Jahre sind.«
» Sechzehn? Bevor sie erwischt werden?«
»Bedauerlicherweise, ja. Deshalb ist es ja so wichtig, dass solche Taten sofort angezeigt und strafrechtlich verfolgt werden. Von selbst hören diese Täter nicht auf – sie müssen gestoppt werden.«
Die Schweißperlen an meinem Haaransatz sind getrocknet, mir ist nicht mehr heiß, ich fröstele sogar. »Gibt es noch etwas, das meine Leser über Kinderschänder erfahren sollten?«
Er erklärt, dass entgegen der verbreiteten Vorstellung vom Einzelgänger fünfzig Prozent der Kinderschänder verheiratet sind oder in einer festen heterosexuellen Partnerschaft leben. Dabei, so sagt er, sei die Rückfallquote bei den verheirateten Männern höher als bei den anderen. Er schaut mich an. »Verrückt, oder?«
»Also ist die Tatsache, dass einer verheiratet ist, eher ein schlechtes Zeichen.«
»So ist es. Ein weiteres schlechtes Zeichen ist es, wenn bei der Tat erhebliche Gewalt im Spiel war, und das gilt für die Männer, die erwachsene Frauen vergewaltigen, ebenso. Je brutaler das Vorgehen, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Mann weitere Taten begeht.«
»Gibt es auch irgendwelche guten Zeichen?«
»Die gibt es, ja. Bei den Männern, die einen festen Job haben, Single bleiben und nach der Haftentlassung regelmäßige therapeutische Betreuung erhalten und wahrnehmen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie weitere Sexualstraftaten begehen, am geringsten.«
Ich kritzele in mein Notizbuch: fester Job, Single, therapeutische Betreuung.
»Am allergefährlichsten aber«, fährt Letley fort, »ist dasStereotyp vom bösen Fremden. Tatsache ist, dass – je nachdem, welche Studie Sie lesen – etwa achtzig Prozent aller Kinderschänder aus dem persönlichen Umfeld der Opfer kommen. In der Regel gehören sie zur Familie oder zum Freundes- und Bekanntenkreis, oder es handelt sich um Autoritätspersonen, zum Beispiel innerhalb der Kirche oder der Schule.«
»Das heißt, die Orte, die wir für sicher halten ...«
»... sind es nicht, ganz recht.« Er wippt ein paarmal in seinem Stuhl vor und zurück.
»Gut. Ich würde jetzt gern noch einmal den Fokus wechseln. In meiner Story soll es um registrierte Sexualstraftäter gehen, Männer, die aus der Haft entlassen wurden und nach bestimmten Auflagen als rehabilitiert gelten. Können Sie beschreiben, welche Art von Rehabilitierungsmaßnahmen ein solcher Täter in der Regel durchläuft?«
»Natürlich.« Er nickt. »Die Rückfallquoten sind hoch, deshalb fußt meine Behandlungsphilosophie auf der These, dass wir den Klienten motivieren müssen, sich zu ändern. Bei Tätern, die an ihrem Denken und ihren Gewohnheiten festhalten wollen – ich sage es ganz offen: Da greift so gut wie gar nichts.«
Dr. Letley erläutert das Standardprogramm: kognitiv-verhaltenstherapeutische Rückfallprävention oder kognitive Verhaltenstherapie, die auf die Veränderung von Denk- und Verhaltensmustern zielt. »Aber wenn ich ehrlich sein soll, muss ich leider sagen, dass das alles nicht wirklich gut anschlägt.« Als Nächstes erklärt er mir das Verfahren der Penis-Plethysmografie, das angewendet wird, um zu überprüfen, welche Fortschritte ein Kinderschänder bei seiner Rehabilitierung macht. »Auf dem Penis des Delinquenten wird ein ringförmiger Sensor platziert, und dann zeigt man dem Mann Bilder von Kindern in Unterwäsche. Der Sensor registriert ... also, er registriert ...«
»Was so hochkommt?«
»Sozusagen.« Sein Lächeln ist halbherzig. »Ja.«
»Erektionstests für Perverse? Bin ich froh, dass ich in dem Labor nicht arbeiten muss.«
Wieder räuspert er sich. »Hm. Also. Ein direkterer Ansatz nennt sich ›Empathie lernen‹. Da wird den Tätern abverlangt, dass sie Mitgefühl für ihr Opfer entwickeln. Dass sie anerkennen, welchen Schaden sie angerichtet haben, und die Verantwortung übernehmen.«
»Und das funktioniert?«
»Nun, wenn wir sie dazu kriegen, sich wirklich darauf einzulassen, funktioniert es. Wenn ein Sexualstraftäter imstande ist zu sehen, welches Leid er seinem Opfer zugefügt hat, wenn er mitfühlen kann, die Unschuld des Opfers anerkennt und Reue verspürt, dann ist er tatsächlich rehabilitiert. Er wird nicht mehr vergewaltigen oder belästigen.«
»Und warum beschreiten nicht alle diesen Weg?«
»Weil er steinig ist. Schmerzhaft. Mit anderen fühlen zu können setzt voraus, dass man sein eigenes Leid empfindet, und das haben viele Täter ausgeblendet. Die meisten haben zu Hause
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