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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Castro
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die Zielscheibe zurück, und ich schob ein neues Magazin in die Beretta. Fünf Mal wiederholten wir das Ganze. Alonso schaute von Mal zu Mal erstaunter drein, und ich war selbst überrascht. Woher kam das?
    Als wir Schluss machten, nahm er die Zielscheibe von dem Ständer, rollte sie zusammen und gab sie mir – als Andenken.
    Ich war ausgelaugt und trotzdem seltsam glücklich. Als ich Alonso fragte, ob er Lust habe, noch ein Bier trinken zu gehen, sagte er Nein, er müsse nach Hause, zu seiner Familie, also gab ich ihm seine fünfzig Dollar in bar, und er vervollständigte und unterschrieb das Formular, das mir bescheinigte, dass ich das Sicherheitstraining erfolgreich absolviert hatte.
    » Gracias «, sagte ich und schüttelte ihm die Hand, noch immer erregt und verwirrt von der Erkenntnis, dass es mich in eine Art Rausch versetzt hatte, eine Waffe abzufeuern. » Mil gracias .«
    » Nada . Passen Sie auf sich auf.« Er sah mich noch einmal neugierig an und wandte sich dann zum Gehen.
    Im vierten Stock des Stahl-und-Glas-Bürogebäudes ein paar Blocks vom Medizin-Campus der LSU entfernt, an der Tür zum Büro von Dr. Omar Letley, dem Psychiater, den ich interviewen will, begegnet mir ein unscheinbarer Geschäftsmann – in den Vierzigern, schütter werdendes Haar –, der sich soeben verabschiedet hat. Gesenkten Blicks geht er an mir vorbei. Ein Patient? Ich schaue ihm nach. Sieht so ein Sexualstraftäter aus? Aber er ist einfach nur ein blauer Anzug, der einen langen Flur hinunter verschwindet.
    Ich drücke die Glastür auf, in die DR. MED. OMAR LETLEY eingeätzt ist, und nenne am Empfang meinen Namen. Kurz darauf öffnet sich eine Tür, und Omar Letley kommt mit ausgestreckten Armen auf mich zu – ein großer, äußerst gut aussehender Mann mit trockenem Händedruck,einem Lächeln, das die Augen nicht ganz erreicht, und einer unangestrengt gelassenen Ausstrahlung. Das Tuch seines Maßanzugs raschelt leise. Seine dunklen Augen scannen mich einmal kurz von Kopf bis Fuß, und auch wenn er zu gute Manieren hat, um länger hinzuschauen, registriert er das Dekolleté, das ich sorgfältig arrangiert habe. Er berührt mich leicht am Ellbogen und führt mich in sein Büro, wo alles glatt ist, edel, gedämpft – in diversen Schattierungen von Taupe und Elfenbein. An den Wänden hängen gerahmte, sepiabraune Fotografien von Springbrunnen, Spanischem Moos und Friedhofsengeln aus Stein; die Ränder der Aufnahmen sind verwischt, so dass sie etwas von Wolken haben. New-Orleans-Propaganda, das volle Programm. Hier riecht es nach Geld, Geld und noch mehr Geld und nach der Quelle, aus der es entspringt. Perverse zu behandeln ist ein einträgliches Geschäft, nehme ich an.
    Die Klimaanlage summt, Gott sei Dank, denn mein Rücken ist feucht von Schweiß. Letley nimmt hinter einem großen Granit-Schreibtisch Platz, und ich lasse mich in einen kühlen Ledersessel fallen.
    »Miss Céspedes«, sagte er, lehnt sich mit einem Seufzer zurück, legt filmreif die Hände zusammen und hält sie so, dass die Fingerspitzen seine Lippen berühren. »Wie kann ich Ihnen helfen?« Die Andeutung eines Schmunzelns huscht über sein Gesicht.
    Ich rufe ihm unser Telefongespräch in Erinnerung, umreiße, worum es in meiner Story vorrangig gehen soll, hole währenddessen mein kleines, silbernes Olympus-Diktiergerät hervor und stelle es auf seinen Schreibtisch. Ich schalte es an, und das gleichmäßige rote Blinken setzt ein.
    »Erzählen Sie mir etwas über Vergewaltiger«, sage ich. »Warum tun die das?«
    »Natürlich. Gut, also.« Er dreht sich mitsamt Stuhl in Richtung Fenster und hebt das Kinn etwas, als besinne er sich auf sein Toastmasters-Rhetorik-Seminar. »Wir können nicht mit Genauigkeit erklären, warum ein einzelner Vergewaltiger vergewaltigt,aber wir können charakteristische Eigenschaften von Vergewaltigern beschreiben und die situationsbedingten Faktoren betrachten, die zur Herausbildung bestimmter Verhaltensmuster beizutragen scheinen. Wie bei Kriminellen im Allgemeinen wird auch bei den meisten Vergewaltigern und Kinderschändern eine antisoziale Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, was unter anderem bedeutet, dass sie kein Mitgefühl kennen. Sie haben zum Leid anderer keinerlei Bezug.«
    Ich nicke und mache mir zur Sicherheit ein paar Notizen.
    »In der Regel haben Vergewaltiger während ihrer Kindheit instabile Verhältnisse erfahren, und unter denen, die besonders brutal vorgehen, sind die meisten mit einem gewalttätigen,

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