Toedlicher Sumpf
aufgerissenen Augen und sieht die beiden anderen vielsagend an. »Ist ja gut. Entschuldige ...«
»Schon in Ordnung. Ich bringe sie nur eben weg.« Hastig schleppe ich den Stapel in mein Zimmer.
Als ich zurückkomme, sitzen sie immer noch mit hochgezogenen Brauen da und sehen einander fragend an. Um Fabis perlmuttrosa geschminkte Lippen spielt ein kleines Lächeln.
Ich ringe mir ein Lachen ab. »Lasst es gut sein, ja? Das war einfach langweiliges Zeug für die Arbeit, weiter nichts. Los, kommt, helft mir abräumen!« Ich angele nach den leeren Tellern. »Im Ernst. Ándale .« Sollen sie doch denken, was sie wollen.
Dass Fabi auf die Akten aufmerksam geworden ist, stört mich viel mehr, als wenn Calinda oder Soline diejenige gewesen wäre. Ihr süffisantes Lächeln ärgert mich richtig. Ein Außenstehender, der Fabi und mich sieht, könnte viele Gemeinsamkeiten feststellen: beide Ende zwanzig, beide Latina, beide hübsch – aber es gibt auch gewaltige Unterschiede, von solchen Kleinigkeiten wie ihrem geglätteten schwarzen Seidenhaar im Gegensatz zu meinen ungebändigten Locken bis hin zu relevanteren Dingen wie einem Vater zu Hause, Unmengen von Geld und dem verbrieften Recht, jeden Sommer in die Heimat zu reisen und la familia zu besuchen.
Sie kann sich mächtig über die Vorurteile ereifern, mit denen Latinos in New Orleans zu kämpfen haben, aber ehrlich: Bislang hat der Wohlstand ihrer Eltern sie so ziemlich vor allem bewahrt. Es ist ja nicht so, dass der Torres-Familie die Mitgliedschaft im Beau Chêne Country Golfclub verwehrt gewesen wäre – ganze Sommer lang hat Fabi dort an ihrem Abschlag gefeilt – oder dass sie jedes Jahr schwitzend im Stau stehen und tapfer durch ganz Louisiana und Texas rollen müssten, um an die mexikanische Grenze zu kommen. Nein, sie fliegen direkt vom Louis Armstrong International Airport zum DF-Flughafen Mexiko und steigen dort um in den gecharterten Jet, der sie zum abgeschotteten Anwesen ihrer Familie in San Christóbalbringt. Und ganz im Ernst: Sie stammen vielleicht aus Chiapas, aber von Fabis Verwandten hat bei dem Aufstand 1994 garantiert keiner eine schwarze Skimaske getragen.
Als sie das letzte Mal dort war, hat sie uns vom mercado Schlüsselanhänger mit kleinen Zapatistenfiguren dran mitgebracht.
»Solidarität, mujeres! «, hat sie gesagt, als sie uns die Teile bei einem Drink überreichte.
Aber ihr richtiger Schlüsselanhänger, der, den sie tatsächlich benutzt, ist ein kleiner Barren Sterling-Silber, in den TIFFANY eingeprägt ist.
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Fabi ist lieb – trotz all ihres Geldes ist sie Lehrerin geworden, verdad –, aber ihr Idealismus ist von der Sorte, die nie wehtut. Sie ist das typische Mädchen aus reichem Elternhaus: mit echten Diamantenohrsteckern und so zart besaitet, dass sie, wenn sie mit dem Alltagsleben ganz normaler Leute in Berührung kommt, immer leicht die Nase rümpft. Sie tut so, als gebe es zwischen uns mehr Gemeinsamkeiten, als da tatsächlich sind, als hätte ich immer die gleichen Vorteile gehabt wie sie, dabei musste ich mir das, was für sie die Startposition war, erst einmal hart erarbeiten.
Am Anfang, als wir uns noch nicht lange kannten und sie mir den schönen Oben-ohne-Mann zeigte, habe ich hin und wieder versucht, Dinge anzusprechen, die uns unterscheiden – nein, nichts so Gravierendes wie die Desire Projects oder meine Mutter, wie sie betrunken auf der Couch lag, aber doch schlichte Tatsachen wie die, dass ich aufs Geld achten muss oder dass ich meinen Vater nicht kenne. Dann hat sie mich immer so angeschaut: erst verwirrt, dann mitleidig, und dann hat sie angefangen, von etwas anderem zu reden, etwas, womit sie mich vielleicht aufheitern wollte oder was sie für passender hielt. Egal. Ich nehme an, diesen Preis muss man zahlen, wenn man gesellschaftlich aufsteigen und mit Leuten aus der Oberschicht befreundet sein will. Du verschweigst die Aspekte deines Lebens, die allzu deutlich machen würden, wieprivilegiert die anderen sind, oder sie behandeln dich so, dass du dir schäbig und klein vorkommst, dass du dich schämst. Fabi erzählen, dass ich über etwas aus der schmutzigen Welt da draußen schreibe, noch dazu etwas so Perverses wie Kinderschänder? Kommt nicht in Frage.
Ich mag Fabi, es gibt viel, das uns verbindet. Trotzdem, selbst wenn ich sie umarme, grollt etwas in mir. Aber ich habe es an die Leine gelegt.
Soline spült die Teller, während ich die Bananen brate. »Alles in
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