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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Castro
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Gewalt und/oder Vernachlässigung erfahren. Einige – etwa dreiundvierzig Prozent der Kinderschänder zum Beispiel – sind selbst sexuell missbraucht worden. Aber das geben sie in der Regel erst preis, wenn sie im Gefängnis in ihrer Pflichtberatung bei einem Sozialarbeiter oder Therapeuten sitzen. Und das Verheimlichen macht es noch schlimmer.«
    »So etwas gibt keiner gern zu.«
    »Nein. Und keiner setzt sich gern damit auseinander. Wenn sie es aber schaffen, ihren eigenen alten Schmerz noch einmal zu durchleben und zu verarbeiten, sind sie normalerweise auch in der Lage, die Verantwortung für das zu übernehmen, was sie anderen angetan haben; dann können sie mitfühlen. Nur geht es da um traumatische Dinge, und viele Täter lehnen es ab, sich dem zu stellen.«
    »Also«, ich überfliege meine Notizen noch einmal, »kognitive Verhaltenstherapie, Penis-Plethysmografie, Empathie lernen – noch etwas?«
    »Hin und wieder setzen wir Medikamente ein.«
    »Medikamente?«
    »Ja. Wir nutzen, in Verbindung mit anderen Therapieformen, bestimmte Wirkstoffe, um die sexuelle Erregbarkeit zu dämpfen. So kann der behandelte Täter leichter anfangen, sich selbst neu zu programmieren. Seinen sexuellen Schaltplan zu verändern, wenn Sie so wollen.«
    »So eine Art Anti-Viagra?«
    »In etwa, ja. Einigen Tätern scheint das, wie gesagt in Kombination mit anderen Behandlungsformen, zu helfen.«
    »Aha.« Ich schreibe alles auf. »Sonst noch etwas? Kastration?«
    Er runzelt die Stirn und übergeht die Frage. »Eine weitere Therapieform, mit der sich einiges erreichen lässt, ist EMDR.«
    »Und das heißt ...?«
    »Eye Movement Desensitization and Reprocessing. Einfach gesagt ...«
    »Ja, bitte, wenn es Ihnen nichts ausmacht ...«
    »Einfach gesagt hilft bei diesem Verfahren der Therapeut dem Patienten, sich traumatische Szenen aus der Vergangenheit in Erinnerung zu rufen, indem er ihn anleitet, bestimmte rhythmische Augenbewegungen zu vollziehen, hin und her, hin und her. In der Folge kann der Patient alte traumatische Erfahrungen, die sein gegenwärtiges Leben immer wieder stören, verarbeiten.«
    »Die Augen hin und her bewegen? Wie kann das helfen?«
    »Wie Sie vielleicht wissen, kann ein Trauma die Sprache ausschalten.«
    »Nein, wusste ich nicht«, sage ich zögernd. »Wie ist das zu verstehen?«
    »Das System, mit dem unser Gehirn Erinnerungen speichert, ist ein physiologisches, genau wie unser Verdauungs- oder das Kreislaufsystem. Solange alles gut geht und wir uns sicher fühlen, werden unsere Erinnerungen sowohl in Bildern als auch sprachlich gespeichert. Später finden wir über die Sprache Zugangzu ihnen; wir können beschreiben, was passiert ist. Zum Beispiel könnte ich Ihnen erzählen, was ich heute gefrühstückt habe und wie ich in die Praxis gekommen bin. Bei einem traumatischen Erlebnis aber wird das Broca-Areal ...«
    Ich runzele die Stirn.
    »... die Region der linken Hirnhälfte, die Erfahrungen in Sprache verwandelt«, erklärt er. »Bei einem traumatischen Erlebnis schaltet sich das Broca-Areal ab. Bewegen wir nun die Augen hin und her, aktivieren wir beide Hirnhälften und damit auch das Broca-Areal. Nun kann der Betroffene anfangen, das Trauma sprachlich zu fassen.«
    »Wenn jemand also in der Lage ist, das, was geschehen ist, in Worte zu fassen ...«
    »... ist er auf dem Weg der psychischen Wiederherstellung. Ja.«
    »Verstehe. Aber wie können Sie sicher sein, dass die Rehabilitierung – egal, welche Methode Sie eingesetzt haben – erfolgreich war?«
    Sein Lachen hat etwas Bitteres. »Bei dieser Art von Tätigkeit lernen Sie schnell, dass es so etwas wie Sicherheit nicht gibt. Wie gesagt, die Rückfallquote ist hoch. Eines habe ich allerdings bei meiner Arbeit mit den Männern wiederholt festgestellt: Wenn Sie einen Täter auffordern, den Therapieprozess zu beschreiben, tut einer, bei dem sich wirklich etwas ändert, dies mit hoher Wahrscheinlichkeit stockend und sehr konkret. Er sagt vielleicht so etwas wie: ›Ich setze mich heute mit Dingen auseinander, über die ich vorher nie nachgedacht habe.‹ Wirkliche Rehabilitierung geht langsam vonstatten, ist mit Schmerzen verbunden und löst grundlegende Veränderungen im Denken aus. Es dauert, diese Veränderungen zu verarbeiten, und die Männer tun sich schwer damit.«
    »Und wie ist es bei denen, die versuchen, diese Veränderung vorzutäuschen?«
    »Genau umgekehrt. Die äußern sich positiv, begeistert geradezu; behaupten, ihre Rehabilitierung sei

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