Tödliches Abseits (German Edition)
einen Fall souverän und in dem anderen Fall rutscht der Ball unter dem fallenden Körper des Keepers ins eigene Netz?
Warum trifft der gegnerische Verteidiger einen Stürmer bei einer Grätsche einmal am Knie und ein anderes Mal gelingt es ihm, über das ausgestreckte Bein hinwegzuspringen, so dass die Attacke des Gegners ins Leere läuft?
Warum?
Die Antwort war für jeden wirklichen Fan einfach und klar. Weil ein Ritual nicht begangen wurde. Irgendeines.
Und mag es auch noch so unwichtig, als noch so winziges Detail erscheinen. Eine klitzekleine Abweichung kann sich auswirken. Das nicht erkannte Abseits kann so zum Tor für den Gegner führen. Die erfolgreiche Attacke kann einen viel versprechenden Angriff der Schalker vereiteln. Der verschossene Freistoß kann das Spiel entscheiden.
Deshalb sind Rituale so wichtig. Lebenswichtig.
Und nicht wenige der durchschnittlich 40.000 Besucher eines Heimspieles befolgten Rituale. Was für welche auch immer.
18
»Tag, meine Herren, dann wollen wir mal ... Oh, Frau Kostalis, Sie habe ich doch glatt übersehen«, entschuldigte sich Hauptkommissar Brischinsky für seinen Lapsus bei der Begrüßung der Mitglieder der Sonderkommission ›Fußball‹ im Sitzungszimmer eins des Polizeipräsidiums. Der Raum war spartanisch und zweckmäßig eingerichtet. Die Beamten saßen an Tischen, die in
U-Form aufgestellt worden waren, vor den Wänden standen Flipcharts und Metalltafeln.
»Das passiert öfter«, antwortete die junge Kriminalpolizistin griechischer Abstammung. »Aber auch Sie werden sich sicher noch an meine Anwesenheit gewöhnen.«
»Ja, natürlich.« Brischinsky blätterte etwas verlegen in seinen Unterlagen. »Also, fangen wir an. Im Anschluss an ein Heimspiel des FC Schalke 04 wurde während gewalttätiger Auseinandersetzungen rivalisierender Fangruppen in einem Zug nach Dortmund der 19-jährige Klaus Kröger ...«
Der Hauptkommissar fasste für die Anwesenden die bisherigen Erkenntnisse zusammen und schloss dann: »... und deshalb hat Kriminalrat Wunder entschieden, die Soko ›Fußball‹ einzurichten. Er hat mir die Leitung übertragen. Kommissar Heiner Baumann wird mich dabei unterstützen. Er wird auch die täglichen Berichte für den Kriminalrat anfertigen.«
Baumann, der links von Brischinsky saß, machte ein gequältes Gesicht.
»Deshalb bitte ich darum, dass alle Informationen nicht nur an mich, sondern auch an ihn weitergegeben werden. Klar?«
Einige der Soko-Angehörigen nickten. Andere sahen ihren Kollegen Baumann mitleidig oder mit kaum verhohlener Schadenfreude an.
»Wenn so weit alles geklärt ist, sollten wir unsere nächsten Schritte abstimmen.«
Erwartungsvoll blickten die Polizisten Brischinsky an. Jetzt war es an Baumann zu grinsen. Er wusste aus langer und manchmal leidvoller Erfahrung, was Brischinsky damit meinte, wenn er von ›Schritte abstimmen‹ sprach: Er stimmte ab, und zwar mit sich selbst. Ausschließlich mit sich selbst.
»Also gut«, fuhr Brischinsky fort. »Dann bitte ich zunächst den Kollegen Baumann, uns von seinem Gespräch mit dem inhaftierten Verdächtigen Droppe zu berichten.«
Baumann räusperte sich. »Droppe ist mit den Nerven ziemlich am Ende. Er behauptet nach wie vor, sich an absolut nichts erinnern zu können. Das tut er nach meiner Auffassung ziemlich glaubhaft. Möglicherweise ist er aber auch ein perfekter Schauspieler. Fest steht jedenfalls, dass er ebenso wie der Getötete volltrunken war. Ich habe ihn damit konfrontiert, dass wir einen zweiten Toten gefunden haben. Wieder einen Fußballfan, Tatzeit wieder nach einem Heimspiel von Schalke. Er war sichtlich erschrocken und hat vehement geleugnet, irgendetwas mit diesem Mord zu tun zu haben. Ich habe ihn
gefragt, ob er für die Zeit, in der das Opfer vermutlich ermordet wurde, ein Alibi hätte, habe aber kein vernünftiges Wort mehr aus Droppe herausbekommen. Der Mann war einfach fertig. Hat nur noch geheult und gestammelt, dass er es nicht gewesen sei. Ich musste die Vernehmung abbrechen.«
»Danke, Heiner«, übernahm Brischinsky wieder. »Von den Hooligans, die die Schlägerei im Zug angezettelt haben, fehlt uns noch jede Spur. Außerdem haben wir keine Zeugen, die den Mord oder wenigstens einen Streit zwischen Droppe und Kröger gesehen haben. Es fehlt jeder Beweis, dass die Tatwaffe wirklich Droppe gehört hat. Und wir haben auch noch kein ...«
»Motiv«, unterbrach Sonja Kostalis den Hauptkommissar. »Warum sollte Droppe Kröger umbringen?
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