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Tödliches Abseits (German Edition)

Tödliches Abseits (German Edition)

Titel: Tödliches Abseits (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Zweyer
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zurückgekehrt. Zwei Tage später hat sein Bruder Vermisstenanzeige gestellt. Hasenberg ist 1,78 Meter groß, schlank und hat schwarze Haare. Sonst wurden an diesem Wochenende nur ein 16-jähriger Schüler aus Dresden und eine junge Frau aus Lüneburg als vermisst gemeldet.«
    »Ziemlich ruhiges Wochenende. Du hast Recht, ich glaube, wir haben unseren Mann. Druck das aus.« Brischinsky zeigte auf den Bildschirm. »Und wenn der Obduktionsbericht endlich da ist, fax ihn zu den Kollegen nach München. Droppe besuchst du allein. Ich muss mich auf die Sitzung der Soko um zwei vorbereiten.«
    16
    Minutenlang schon stierte Rainer Esch auf den Computerbildschirm in seinem Büro. Er hatte den Kopf in beide Hände gestützt, den Mund leicht geöffnet und machte keinen besonders zufriedenen oder intelligenten Eindruck. Gedankenverloren zog er an seiner Zigarette, nur um festzustellen, dass er diese noch gar nicht angezündet hatte. Mit einem leichten Kopfschütteln holte er das Versäumte nach und sog den Rauch ein.
    Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Bildschirm zu. Neben dem blinkenden Cursor las er nun zum vielleicht hundertsten Mal den Beginn seines anwaltlichen Schreibens an das Eheanbahnungsinstitut Harmonie : Unter Vorlage der mich legitimierenden Vollmacht zeige ich an, dass mich Herr Josef Bartelt, Castroper Straße 235 in 44627 Herne mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hat.
    Weiter war er noch nicht gekommen.
    Schon seit Stunden, so erschien es ihm, hockte er vor seinem elektronischen Helfer und wartete auf eine Inspiration. Ironisch sollte sein Schriftsatz sein, trotzdem rechtlich einwandfrei und die Forderungen, die Harmonie an seinen 86-jährigen Mandaten stellte, eindeutig zurückweisend.
    Plötzlich straffte sich Rainer, tippte mit Elan einige Wörter in die Tastatur und betrachtete seinen geistigen Erguss auf dem Bildschirm. Der eben noch so schwungvoll geführte Zeigefinger seiner linken Hand erstarrte abrupt, näherte sich langsam der Tastatur, um dann erneut zu verharren. Einen Moment später sank Rainers Hand schlaff herunter. Ratlos löschte er das soeben Geschriebene und fiel zurück in seine Lethargie. Heute, das stand fest, war nicht sein Tag. Ganz und gar nicht.
    Zum wiederholten Mal fiel sein Blick auf das Mahnschreiben des Ehevermittlers. Unterschrieben war der Brief von einer Frau oder einem Herrn A. Brender. Esch war die Namensgleichheit mit einem früheren Mitschüler von ihm sofort aufgefallen. Allerdings hieß dieser Klaus-Peter, nicht A. mit Vornamen.
    Rainer erinnerte sich ungern und mit schlechtem Gewissen an diesen Schulkameraden. Seine damalige Clique und er hatten den kleinen und schmächtigen Klaus-Peter viele Jahre mit Hohn und Spott traktiert; erst recht, nachdem sich herausgestellt hatte, dass er wie seine Eltern Mitglied einer religiösen Sekte war.
    Klaus-Peter wurde in den Wandschrank des Klassenzimmers eingeschlossen, durch das hoch liegende Fens-
ter der Jungentoilette im strömenden Regen auf das Flachdach des Schulgebäudes verbannt oder an seinen altmodischen Hosenträgern an dem Kartenständer, der sonst eine Europakarte hielt, aufgehängt. Für Klaus-Peter mussten die ersten Jahre seiner Zeit auf der Realschule die reine Hölle gewesen sein. Erst später, mit der Pubertät und dem erwachenden Interesse für das andere Geschlecht, hatte sich das Verhalten der Clique geändert. Klaus-Peter war ihnen schlicht gleichgültig geworden.
    Rainer konnte sich gut vorstellen, dass sich Klaus-Peter damals nachts in seinem Bett möglichst grausame Methoden ausgedacht hatte, wie er seine Quälgeister um die Ecke bringen konnte. Das wäre doch ein Krimiplot, spann Rainer seinen Gedanken weiter: Dreißig Jahre später ermordet so ein Mensch frühere Mitschüler, um sich für die seelischen Grausamkeiten während der Schulzeit zu rächen. So etwas sollten Krimiautoren mal schreiben. Stattdessen langweilten sie ihre frustrierten Leser mit an den Haaren herbeigezogenen Storys über ...
    Das Klingeln an seiner Bürotür verhinderte seine Fundamentalkritik an John Grisham und anderen.
    Rainer öffnete die Tür. Vor ihm stand ein pickeliger Jüngling von höchstens zwanzig Jahren mit kurz geschorenem blondem Haar. Der Mann trug Jeans, die mindestens drei Nummern zu groß waren, halbhohe, unverschnürte Turnschuhe und ein Sweatshirt, das mehr einer Zeltplane ähnelte als einem Kleidungsstück. Am auffälligsten aber waren die vielen Ringe unterschiedlicher Größe, die sich

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