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Tödliches Abseits (German Edition)

Tödliches Abseits (German Edition)

Titel: Tödliches Abseits (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Zweyer
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der Besucher durch Nase, Ohren und Lippe hatte ziehen lassen.
    »Tach«, sagte der Blondschopf. »Ich möchte zu Rechtsanwalt Esch.«
    »Guten Tag«, antwortete Rainer. »Der bin ich. Und wer sind Sie?«
    »Holger Müssler.« Der Ringträger streckte ihm die Hand zur Begrüßung entgegen. »Ich brauche Ihre Hilfe.«
    Als Rainer die Hand seines potenziellen Mandanten schüttelte, fühlte er mit seinen Fingern eine Art Erhebung unter der Haut seines Gegenübers. Verstohlen schielte er auf den Handrücken Holger Müsslers. Tatsächlich! Unverkennbar zeichnete sich dort ein Kreuz ab.
    »Bitte kommen Sie.« Esch führte Müssler in sein Arbeitszimmer und bot ihm einen Stuhl an. »Einen Kaffee kann ich Ihnen leider nicht anbieten ... Meine Sekretärin hat Urlaub. Was kann ich für Sie tun?«
    »Zunächst mal, also ich meine, wollte ich fragen, also, was kostet das?«
    »Was kostet was?«
    »Ihr Honorar.«
    »Aha.« Daher wehte der Wind. Esch war entschlossen, den elementarsten juristischen Lehrsatz eines selbstständigen Rechtsanwaltes anzuwenden: Ohne Schuss kein Jus. Ohne fünfhundert Schleifen Vorschuss lief hier nichts. »Das hängt vom Streitwert ab. Danach berechnen wir unsere Gebühren. Aber um was geht es denn? Dann kann ich Ihnen Genaueres sagen.«
    »Darum.« Holger Müssler zeigte auf zwei Ringe, die seine Unter- und Oberlippe zierten. Der untere hatte etwa einen Durchmesser von einem Zentimeter, der obere war etwas kleiner. »Die hab ich vor etwa einem Monat machen lassen. Im Piercingstudio auf der Brückstraße in Bochum. Aber die sind zu nahe nebeneinander. Jetzt hab ich Probleme beim Essen.«
    »Beim Essen?« Esch hätte mit zwei Ringen in der Lippe, einem in der Nase und drei in jedem Ohr noch ganz andere Probleme.
    »Ja, beim Essen. Vor allem bei Spaghetti. Manchmal schieben sich einzelne Nudeln durch die Ringe. Und wenn ich dann die Tomatensauce, also ...«
    Esch sah fasziniert auf den Schmuck und stellte sich pfundweise Spaghetti vor, die an den Ringen baumelten. »Was ist mit der Sauce?«, fragte er gespannt.
    »Die ist das Problem. Das kleckert. Ich habe mir schon mein bestes Sweatshirt versaut. Das hier hat auch schon einen Fleck.«
    Rainer wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Seine Mundwinkel zitterten und er sah skeptisch auf die Zeltplane. »Und Suppe?«, fragte er. »Was ist mit Suppe?«
    »Suppe geht.«
    Esch biss sich auf die Lippen und bewahrte mühevoll die Fassung. »Wie kann ich Ihnen jetzt helfen?«, fragte er mit gepresster Stimme. »Ich meine, Sie können ja auch was anderes essen, oder?«
    »Spaghetti sind aber mein Lieblingsgericht«, erwiderte Holger Müssler trotzig.
    »Das ändert den Sachverhalt natürlich völlig«, gluckste Rainer. Für einen Dienstleister ist der Kunde immer König. »Ähm, noch eine Frage. Warum nehmen Sie die Dinger nicht einfach raus?«
    »Geht nicht. Sehen Sie hier.« Müssler beugte sich weit zu Esch herüber und zog am unteren Ring, so dass seine Unterlippe zwei, drei Zentimeter nach vorne kam. Dann sagte er, ohne den Ring loszulassen, etwas, das sich für Rainer wie »Kaverscheiß« anhörte.
    »Wie bitte?«
    »Kaverscheiß«
    »Aha. Völlig klar. Könnten Sie vielleicht den Ring da ...« Esch zeigte auf den Mund Müsslers.
    Der nickte und ließ los. Mit einem leisen Schmatzen schnellte die Unterlippe wieder in ihre natürliche Position zurück.
    »Kaltverschweißt«, erklärte Müssler. »Genau genommen, verklebt. Die Ringenden sind verklebt. Keine scharfen Kanten, verstehen Sie?«
    Das verstand Rainer. Nur nicht, wie ein anscheinend halbwegs vernunftbegabtes Wesen auf den Gedanken kommen konnte, sich dermaßen zu verunstalten.
    »Logisch. Und jetzt möchten Sie, dass ich das Piercingstudio wegen handwerklichen Pfuschs auf Schadenersatz und Schmerzensgeld verklage? An was hatten Sie denn da so gedacht?«
    »Nein, kein Schmerzensgeld.«
    »Schade. Was sonst?«
    »Ich hab gehört, da gibt es so was ... also, wenn eine Reparatur beim Auto nicht in Ordnung war, da muss dann doch die Werkstatt ...?«
    »Sie meinen Gewährleistung?«
    »Genau. Gewährleistung. Das Studio soll mir die Ringe wieder rausnehmen.«
    Den Wunsch konnte Rainer nachvollziehen.
    »Und dann wieder neu einsetzen. Nur weiter ausei-
nander.«
    Den nicht.
    »Und zwar kostenlos.«
    Den völlig. Nach Rainers Auffassung von Menschenrechten müsste eigentlich das Piercingstudio dafür bezahlen, dass ...
    »Verstehe«, antwortete Esch. Dieser Prozess würde mit Sicherheit mit einem

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