Toedliches Erbe
nach Maine zu kommen und sie auszulösen. Dann sprach er selber mit einem Beamten des Reviers und erreichte, daß sie und Max zum Logan Airport in Boston fahren und von dort nach New York fliegen durften. Diese Lösung half, die Atmosphäre etwas zu entspannen. Die Polizei mußte sich nun, egal ob widerwillig oder zufrieden, der Tatsache stellen, daß sie es weder mit Hippies zu tun hatte, noch auf ein Liebesnest gestoßen war und auch nicht auf eine Bande von Sodomiten mittleren Alters, sondern zwei sehr reputierli-che Personen vor sich hatte, deren gutes Recht es war, sich aufzuhal-ten, wo sie sich aufgehalten hatten. Dabei hatten sie eine Leiche gefunden und diese der Polizei sofort und auf denkbar korrekte Weise gemeldet.
»Da ist nur noch eines«, verkündete der Chef des Polizeireviers, dessen Benehmen so herzlich geworden war, wie seine ausdruckslose Stimme und sein ausdrucksloses Gesicht das zuließen. »Bevor Sie uns verlassen, muß ich Sie bitten, sich die Leiche anzusehen. Das wird kein angenehmer Anblick sein, denn sie hat einige Zeit im Wasser gelegen, möglicherweise mehrere Tage. Genau werden wir das erst nach der Autopsie wissen. Aber falls einer von Ihnen die junge Frau kennt – vielleicht war es eine Freundin von Miss Hutchins?« wandte er sich hoffnungsvoll an Max, »würde uns das ein 31
gutes Stück weiterhelfen.«
»Jetzt können wir unsere gute Erziehung zeigen«, sagte Max leise zu Kate, als sie dem Chef in das Kellergeschoß des Gebäudes folgten. »Wir nehmen all unseren Mut zusammen, stehen die Sache zügig durch, zeigen nicht mehr Gefühle als absolut notwendig und agieren sie dann in unseren Träumen aus.«
»Woher sollten wir die Frau denn kennen?« fragte Kate.
»Eine gute Frage.« Max blieb im Korridor stehen. »Sir«, rief er dem Mann zu, der vor ihm herging. »Natürlich besteht die Möglichkeit, daß ich in der Leiche eine Person erkenne, die in irgendeiner Verbindung zu Miss Hutchins steht, wenngleich das ziemlich unwahrscheinlich ist. Aber Miss Fansler wird in der Leiche auf keinen Fall jemanden erkennen können, denn sie ist vor dem heutigen Tag noch nie hier gewesen. Könnten wir ihr diese Tortur nicht ersparen?«
»Routine«, hieß die knappe Antwort.
Tatsächlich behandelten sie Max und Kate so rücksichtsvoll, wie es die Umstände erlaubten. Die Leiche wurde aus einer Art Schubfach gezogen, in der sie zugedeckt und kühl gehalten wurde. Das Laken wurde nur so weit weggezogen, daß das Gesicht sichtbar wurde, das, wie man ihnen erklärte, »in Ordnung gebracht« worden war. »Sie ist Anfang Zwanzig«, sagte der Chef. »Das könnte helfen, sie irgendwo einzuordnen.«
Kate gab sich einen Ruck, und Max legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. Kate würde sich immer an das Gefühl der Erleichterung erinnern, weil das Gesicht zwar schrecklich, aber doch nicht ganz so schrecklich aussah, wie sie befürchtet hatte. Sie erkannte es sofort. Dieses Erkennen ließ sie für einen Moment die Wirklichkeit ausblenden, bis ihr Verstand ihr sagte, daß die junge Frau da vor ihr tot war, und das schon seit einigen Tagen.
»Ich kenne sie«, sagte Kate. »Sie ist eine meiner Studentinnen.
Höheres Semester. Ihr Name ist Marston, Geraldine Marston, von ihren Freunden Gerry genannt…«
»Sehr gut«, schoß der Polizist mit lauter Stimme dazwischen. Er hat recht, dachte Kate, ich habe angefangen zu schwatzen. »Gehen wir wieder hinauf. Boyd, besorgen Sie der Lady einen Brandy. Hier entlang, bitte.« Das Schubfach wurde wieder geschlossen, und der Polizist griff nach Kates Arm, führte sie hinauf und begleitete sie zu einem Sessel. »Trinken Sie das«, sagte er. Boyd muß ein schneller Junge sein, dachte Kate. Gerry Marston!
Schließlich wurde Max gebeten, am Ort des Geschehens zu blei-32
ben, da er derzeit am ehesten eine Verfügung über das Haus hatte.
Ein Polizist würde Kate zum Logan Airport fahren und ihrem Mann übergeben, der schon unterwegs nach Boston war. Dieser Polizist hielt einen Ehemann jetzt für den richtigen Trost, selbst für eine Frau, die offenbar keinen Wert darauflegte, seinen Namen zu tragen.
Wenn er denn überhaupt ihr Ehemann war. Sie schwiegen während der Fahrt, Kate, weil sie fürchtete (wie es einer ihrer Kollegen einmal eher präzise als elegant ausgedrückt hatte), ihr würde sonst vor Angst der Mund überlaufen, und der Polizist, weil er – typisch für diese Gegend – ein Gespräch mit Fremden am liebsten vermied.
Erst als sie neben Reed
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