Toedliches Erbe
Zusammenbrüche. Und in-mitten alldessen mußten Reed und Kate noch ihren Pflichten als Ersatzeltern nachkommen, denn das waren sie schließlich für Leo.
Der setzte gerade zum großen Sprung aufs College an und wartete auf den Lohn für alle seine Mühen – auf die Briefe, die jetzt von den Colleges verschickt wurden und in denen stand, wer wo angenommen worden war. Kate und Reed waren nicht sonderlich überrascht, daß Leo Harvard geschafft hatte, schließlich hatte seine männliche Verwandtschaft dort immer schon studiert. Um so überraschter waren sie allerdings, als er verkündete, daß er nicht nach Harvard wollte, sondern nach Swarthmore. Leos Vater ließ von sich hören. Kate ging murrend in die Fraunces Tavern zu einem Lunch mit ihrem Bruder. Er weigerte sich zu akzeptieren, daß Söhne selbständige Entscheidungen fällen, und schimpfte mit seiner Schwester, die offensichtlich an alldem schuld war. Kate ertränkte ihren Widerwillen in kühlem Weißwein, von dem sie eine große Flasche bestellt hatte, und dachte, soll er es besser an mir auslassen als an Leo.
Als sie das hinter sich hatte, kehrte Kate an ihren vollgepackten Schreibtisch zurück. Doch wie sich bald herausstellte, war Leo nicht nur mit der Wahl seines eigenen College beschäftigt, sondern auch mit der all seiner Klassenkameraden (abgesehen von den zehn, von denen man laut Crackthorne ohnehin noch nie gehört hatte). Es zeigte sich, daß Ricardo nicht mehr dazugehörte.
»Der hat Harvard geschafft«, berichtete Leo angewidert.
»Er hat sehr berühmte Großeltern.«
Leos Antwort darauf war ein kurzer Fluch, dessen Wiederholung eine Woche lang jedes Gespräch zwischen ihnen unmöglich machen würde; das versprach ihm Kate. Aber Leo war ernstlich verstört.
50
»Der Kerl ist einfach widerlich. Das weiß jeder. Frank hat ihm gesagt, er käme auf gar keinen Fall nach Harvard. Er hat in seinem Leben nie gearbeitet.«
Frank war Studienberater an seiner Schule und so erfahren im Umgang mit den Zulassungsstellen der Colleges, daß er schon Wochen vor dem 15. April wußte, wo jeder Junge angenommen werden würde. Kate hatte das Gefühl, daß er seine Fähigkeiten vergeudete: Im Büro einer Stiftung oder bei der Regierung wären sie sicher besser zur Entfaltung gekommen. Aber für so eine Schule war es das Wichtigste, daß ihre Absolventen in die richtigen Colleges aufgenommen wurden. Im Kollegium und in der Verwaltung mochte es Schwachstellen geben, doch die starken Persönlichkeiten waren da, wo man sie brauchte. Kate hatte Frank mehr als einmal getroffen und bewunderte ihn, wie sie jeden bewunderte, der seine Arbeit gut machte. Außerdem wußte sie, daß Frank, auch wenn er an den Tech-niken der Madison Avenue festhielt, nicht log. Er wußte, daß eine Lüge gegenüber einem College Jahre später als Rohrkrepierer zu-rückkommen würde. Wenn er dieses Jahr zu den Yale-Leuten sagte:
»Ihr müßt zehn Jungen nehmen, sie sind alle erstklassig«, dann glaubten sie ihm, weil er ihnen im Jahr davor geraten hatte, von diesem absolut schwachen Jahrgang keinen einzigen zu nehmen.
Seine Einschätzung von Ricardos Chancen in Harvard sollte man also nicht gering achten. Dennoch fand sie Leos Widerwillen übertrieben.
»Wer weiß, wie Harvard zu seinen Entscheidungen kommt?«
sagte sie. »Was kümmert dich das?«
Worauf Leo nicht mehr darüber sprach. Kate fragte sich, ob sie das Thema lieber nicht hätte abwürgen sollen. Ihrer Ansicht nach sollten Gespräche mit jungen Leuten ihnen die Chance geben, ihre Meinung zu äußern, wenn sie dies wollten. Sie hätte Leo nicht ab-blocken dürfen. Tatsache war, daß sie diese ganze College-Geschichte einfach leid war, und sie merkte, als sie ihren Stift beiseite legte und statt dessen über Leos Schule nachdachte, daß sie von dem ganzen Laden schlicht nichts mehr hören wollte. Sie hatte den Basketball-Spielen zugeschaut und von Leo deutliche Signale bekommen, die sie jetzt erst zu realisieren begann, und dabei hatte sie es den größten Teil des Jahres über versäumt, bewußt versäumt, ihre Abneigung gegen St. Anthony’s auf den Punkt zu bringen. St. Anthony’s war ganz anders als das Theban, das Kate selbst besucht hatte und wo sie vor kurzem ein Seminar gehalten hatte. St. Antho-51
ny’s unterschied sich – ein besserer Vergleich fiel ihr nicht ein, lag ihr aber auf der Zunge – vom Theban wie der Jet-set von den Be-wohnern der Back Bay.
Natürlich war der Jet-set das Problem. Die schicken
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