Toedliches Erbe
ablehne.«
»Das habe ich erwartet«, sagte Kate. »All diese Schriftstellerinnen, die man jahrelang ignoriert oder vergessen hatte, werden plötzlich wiederentdeckt. Ich persönlich bin froh darüber. Abgesehen von allem anderen bieten sie neue und aufregende Dissertationsthemen.
Über Tennysons späte Metaphorik und die Lesedramen von Swinburne gibt es wirklich genügend Abhandlungen. Und Sie meinen, Cecily hätte sich gewünscht, vor neugierigen Blicken bewahrt zu bleiben?«
»Nein, eigentlich nicht. Hätte sie gewollt, daß ihre Papiere unter Verschluß bleiben, dann hätte sie das gesagt. Wäre es nach mir ge-55
gangen, hätte ich natürlich liebend gern alles versiegelt. Ich hätte die Sachen auch verbrannt, wenn nötig – darüber sprachen wir ja schon.
Aber als Verwalter ihres literarischen Nachlasses hatte ich mich an ihre Wünsche zu halten, die dahin gehen, die Papiere auszuwerten und schließlich zu veröffentlichen – aber nicht übereilt oder schlampig ediert.«
»Sicher gäbe es keinen Verlag, der eine schlampige Edition zuließe.«
»Gewiß nicht. Trotzdem, weil so viele Leute eilig ein Werk nach dem anderen herausbringen, ist nicht nur die Gefahr, sondern sogar die Wahrscheinlichkeit von Fehlern gegeben. Cecilys Wunsch wäre gewesen, daß man meine Biographie abwartete und vielleicht das Erscheinen ihrer von mir herausgegebenen Briefe.«
»Das heißt, Sie arbeiten tatsächlich an einer Biographie? Max, wie aufregend!«
»Wenn Sie es so direkt ansprechen: Wer wäre dazu besser qualifiziert als ich?«
»Sind ihre Kinder einverstanden?«
»Sie zweifeln wohl nicht an meiner Eignung. Zumindest sagen sie es mir nicht ins Gesicht. Aber sie wollen, daß Cecilys Bücher alle mit schmissigen Einleitungen neu herausgegeben werden. Sie wollen alles, was ihnen mehr Tantiemen bringt. Ich erkläre ihnen, daß sie schon rechtzeitig ihre Tantiemen kriegen werden, aber sie befürch-ten, die Nachfrage nach ihrem Werk werde nachlassen. Ich werfe ihnen vor, sie hätten wenig Vertrauen in das Werk ihrer Mutter, und sie werfen mir vor, ich wollte alles für mich behalten. Ich muß wohl nicht extra betonen, daß die Geschichte durch das nebulöse Geschäft eines literarischen Testamentsvollstreckers noch schwieriger wird.
Aber Cecilys letzter Wille war von absoluter Eindeutigkeit, und die Papier sind nach Wallingford gegangen. Ich habe die Universität um Urlaub gebeten, und Wallingford bietet mir Arbeitsmöglichkeiten.
Oh, wie schön, Karamelcreme.«
»Natürlich denke ich jetzt an Gerry Marston«, sagte Kate. »Angenommen, sie wollte für eine Arbeit über Dorothy Whitmore einen Blick in die Papiere werfen. Hätten Sie es ihr erlaubt?«
»Schon möglich. Aber ich würde lieber alles unter Kontrolle halten, bis die Biographie und eine anständige Ausgabe der Briefe fertig sind. Vielleicht werden die Manuskripte geeigneten Wissenschaftlern zugänglich gemacht, aber nicht alle Papiere. Ich weiß, das klingt kleinlich und egoistisch, aber glauben Sie mir, meine Liebe, das ist 56
die einzige Methode, so etwas anzupacken. Sehen Sie sich die James-Erben an. Die haben Leon Edel die volle Verfügungsgewalt gegeben, bis er die Biographie beendet hatte, und es nie bereut. Andere Wissenschaftler haben das zweifellos bedauert, aber welche Entscheidung hat jemals alle glücklich gemacht?«
»Ich finde es schon seltsam«, sagte Kate und sah sich im Cosmopolitan Club um. »Hier sitzen wir in einem Frauenclub, unterhalten uns über eine Schriftstellerin, deren Werk sicher gerade durch die Frauenbewegung mehr Aufmerksamkeit findet, und Sie haben ihre Schriften an einen verknöcherten Männerclub verkauft, der Frauen nur zu gelegentlichen Abendveranstaltungen und auf spezielle Einladung zuläßt.«
»Die Ausstellungshalle und die Bibliothek sind weiblichen Wissenschaftlern zugänglich, die Vorlesungen und die Mitgliedschaft dagegen nicht. Sie müssen Frauen ins Gebäude lassen; sie sind eine gemeinnützige Einrichtung.«
Max lehnte sich einen Augenblick zurück. »Wissen Sie, ich bin nicht so unempfindlich, wie Sie denken. Cecily hat mich gekannt und ausgesucht, weil sie nicht nur Diskretion wollte, sondern, verzeihen Sie mir den Ausdruck, auch jemand mit Mumm. Die einfache Fähigkeit, nein zu sagen und dabei zu bleiben, vor allem gegenüber aufgebrachten jungen Menschen, scheint mir eine vergessene oder zumindest verkümmerte Tugend zu sein. Cecily hat sich auf mein hartes Herz und mein festes Auftreten verlassen.
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