Toedliches Erbe
besonders nötig hatte. Leichten Herzens widerstand sie den angebote-nen Fernsehauftritten und den riesigen Summen für Kolumnen in Frauenmagazinen. Sie widerstand auch – allerdings weniger leicht, wie Kate vermutete – der Versuchung, sich für ihr neues Werk Er-mutigung bei ihren Kritikern, Freunden und Verlegern zu holen.
Allein schrieb sie im Alter von dreiundsiebzig Jahren ihren besten 83
Roman und erlebte noch seinen Erfolg – ein Privileg, dachte Kate, das Dorothy Whitmore versagt geblieben war.
Das Ganze war eine Geschichte über den Erfolg und würde zweifellos auch ein Erfolg werden. Die Form war fast klassisch – wie der frühen die späte Einsamkeit folgte, beide aufgezwungen, beide be-grüßt. Kate lehnte sich in ihrem Holzstuhl zurück und überlegte, daß dieses Manuskript heute aus einem anderen Grund ein Erfolg werden könnte. Cecily war das Porträt einer Frau gelungen, deren Leben bei aller Häuslichkeit nie wirklich häuslich gewesen war. Ihre Kinder schienen sie nicht zu längeren Erörterungen oder Kommentaren anzuregen. Ihre Leidenschaft für Ricardo, ihre Heirat, wurde zum Zentrum ihres Lebens, weil aus ihr eine Beziehung entstand, die trotz Absonderung und Unabhängigkeit gedeihen konnte. Insgesamt ein ziemlich modernes Dokument.
Kate legte das Manuskript sorgfältig in die Mappe zurück, sammelte ihre Habseligkeiten zusammen und machte sich auf die Suche nach Sparrow. Sie fand ihn in seinem Büro, wo er über den Korrek-turen für Programm und Pläne einer Ausstellung hockte.
»Ich habe mir die Whitmore-Briefe angesehen, weil Sie so fasziniert von ihnen zu sein schienen«, sagte er zu Kate. »Sie sind nicht besonders interessant. Es scheint eine dieser Beziehungen gewesen zu sein, wo viel miteinander geredet wurde, aber wenn sie getrennt waren, haben sie nichtssagende Nachrichten ausgetauscht. Das kommt recht häufig vor.«
»Oder genau umgekehrt«, sagte Kate. »Ich habe eine Freundin –
wir waren zusammen auf dem College –, mit der ich einen wirklich aufregenden Briefwechsel führe. Aber jedesmal, wenn wir uns treffen, reden wir nur über ihre Kinder und meine Vorlesungen. Ich möchte mich für den schönen Tag bedanken, Mr. Sparrow.«
»Und ich bedanke mich für den guten Lunch. Wir sehen uns hof-fentlich bald wieder.« Er begleitete Kate zum Aufzug, so als könne man sich bei einer Dame nicht sicher sein, daß sie die nötige Kraft aufbringt, den Knopf neben der Fahrstuhltür zu drücken. Vielleicht war aber auch der Grund – Kate hatte das auch in anderen Männerclubs bemerkt –, daß deren Mitglieder die vage Vorstellung fürchte-ten, eine unbegleitete Frau könne schlicht verlorengehen und tagelang verschwunden bleiben, um dann plötzlich wieder aufzutauchen und die Männer im Club zu erschrecken. Am Fahrstuhl angekommen, traute Sparrow ihr nun immerhin zu, daß sie sicher ins Erdgeschoß finden würde, wo ein anderer Schwarzer, ebenso alt und eben-84
so altmodisch wie der erste, sie zur Tür begleitete.
Es tut der Seele wohl, dachte Kate und winkte nach einem Taxi, wenn man ab und zu einmal einen Ausflug in eine würdevollere Aura unternimmt.
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Dritter Teil
Mai
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Acht
D ie erste Maiwoche und mit ihr die letzten Vorlesungen: Kate hatte Phyllis geschrieben und sich für den 8. Mai angekündigt. Im Mai ging es – wie jedes Jahr – in der akademischen Welt deutlich hektischer zu als im April, März oder Februar. Die Universität wurde von Papier überschwemmt: Seminararbeiten, Magisterarbeiten, Dis-sertationskapitel sprossen hervor wie die Osterglocken. Oder meinte sie Tulpen? Kates botanische Vergleiche waren immer etwas nebulös. Alles, was Kate wirklich über Osterglocken wußte – von Wordsworths eher hysterischer Bewunderung für sie einmal abgesehen-, war, daß sie blühten, bevor die Schwalben kamen. Nur, wann die Schwalben sich heimwagten, war so die Frage… Und so geht es mir mit allen anderen Dingen auch, dachte Kate trübsinnig.
»Der einzige Vorteil in meinem Leben«, hatte sie kürzlich zu Reed gesagt, »ist, daß es so viele verschiedene Probleme birgt und ich mich keinem lange genug widmen kann, um darüber zum Kata-toniker zu werden.« Das Problem mit erfolgreichen Geschäftsleuten war beispielsweise, daß sie einfach immer bei ein und derselben Sache blieben und ihre Konzentration niemals auf andere Dinge lenkten. Gewiß liebten auch sie Erholung und Entspannung, aber nur um Geschäftssorgen zu vergessen und nicht als eine
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